Da gewöhnze dich dran
in der Karibik», sage ich.
Werner schaut mich kurz verständnislos an. Seine Augen sind von Krähenfüßen gesäumt – ein Mann, der viel lacht. Dann sagt er: «Ach so. Du meinst, wegen der Katte vonne Kaiman-Inseln.»
Ich nicke.
«Da war ich nur ’n paar Stunden.»
«Der Werner», schaltet sich Schmidtchen ein, «abbeitet auffe MS George. Der macht getz Kreuzfahrt, von Berufs wegen.»
«Sie arbeiten auf einem Schiff?», frage ich.
«Ich hatte die Schnauze voll von Micken», sagt Werner. «Hab doch vorher hier als Bäcker gearbeitet, da anne Ecke.» Er deutet in Richtung Ghettonetto und Mickenbäckerei. «Über ’n Bekannten, kennze doch, Rudi, odda?» Er stupst Schmidtchen in die Seite. «Der Klaus, der dammals ers in Binnenschifffahrt gemacht und dann umgeschult und auf diese großen Pötte angeheuert hat. Über den hab ich mitgekricht, datt se auffe MS George ’n Bäcker suchen. Einen, der gutes deutsches Brot backen kann. Da hab ich hier innen Sack gehauen und hab da angeheuert. Und ich bereu’s kein Stück.»
«Sie sind also gar nicht Hals über Kopf getürmt?»
«Ach watt. Musste nur allet schnell gehen, die brauchten schnell Ersatz auf dem Kahn. Deswegen hat meine Tochter sich um die Wohnung gekümmert. Mein Schwiegersohn is doch Umzuchsunternehmer und macht in Trödel und so. Da hat sich dat angeboten.»
«Und getz», sagt Schmidtchen, «is der Werner für zwei Wochen auf Heimaturlaub.»
«Ich bin Oppa geworden», sagt Werner und wirft sich in die Brust. «’n Junge.»
«Wie soller nomma heißen?», fragt Schmidtchen. «Wuppdich?»
«Ludwig.»
Schmidtchen schüttelt den Kopf. «Ludwich … als ob wa in Bayern wärn. Die Jäuser heißen doch heute alle nur noch englisch. Der wird doch später nur gemobbt inne Schule.»
Werner zuckt mit den Schultern.
«Und du?», fragt er mich. «Fühlze dich wohl in meine Wohnung?»
Ich nicke. «Ja, sehr. Ist eine schöne Wohnung.»
«Hasse den See schon gesehn?», fragt Schmidtchen Werner. «Is getz offen für Publikumsverkehr. Wenn meine Lisbeth dat noch erlebt hätte! ’n Tümpel vorm Fenster, sie hätt sich ’n Bein abgefreut. Übrigens …», er packt sich an den Hintern, zerrt seine Geldbörse aus der Tasche und fummelt einen Karton aus dem Leder. «Ich hab getz ’n Bärenticket. Nächste Woche fahr ich zur Landesgattenschau.»
Werner nimmt die Karte, dreht und wendet sie. «Gut», sagt er. «Dann kommze unter Leute.»
«Finde ich auch gut», sage ich.
«Und im Juni fahr ich mitte Caritas nach Italien.»
«Jetzt wollen Sie’s aber wissen», sage ich.
«Wat soll ich hier zu Hause sitzen. Da werd ich nur tüdelich von. Und wiederkommen tutse davon auch nich.» Forsch steckt er sein Seniorenticket wieder in sein Portemonnaie und schiebt es zurück in seine Hosentasche. «So is dat: Mal hasse Sonne, mal hasse Regen. Gewöhnze dich dran. Dat bringt dat Leben dir schon bei.»
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Über Vanessa Giese
Vanessa Giese, geboren 1978 und sozialisiert im Sauerland, hat während des Studiums zunächst das Rheinland kennengelernt, im Anschluss aber ihr Herz an das Ruhrgebiet verloren. Erst wohnte sie sechs Jahre in Essen, 2010 zog sie nach Dortmund. Sie arbeitet als Projektredakteurin und bloggt seit 2006 als «Frau Nessy».
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Über dieses Buch
Nach der Trennung von ihrem Freund benötigt Nessy dringend einen Tapetenwechsel. Am liebsten würde sie nach Hamburg ziehen, zur Not nach München. Doch es wird Dortmund, das Fußballstadion der Republik. Mit offenem Herzen und viel Humor erzählt sie vom Ankommen im Ruhrgebiet, von seinen vielen Gegensätzen, vom Strukturwandel und der Alltagskultur, vor allem aber von den Menschen, denen sie in der Nachbarschaft, auf der Arbeit und im Handballverein begegnet und die ihr das Ankommen leicht machen. Nach einem turbulenten Jahr hat sie ihr Herz schließlich nicht nur wieder an einen Mann, sondern auch an ihre neue Heimat verloren.
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Impressum
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2013
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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