DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
allerdings nicht der richtige Adressat für Tiefkühlkost, Ansprüche oder Gefahr, obgleich ich Ein-Komponenten-Essen sehr schätze. Joghurt ist genau mein Ding. Müsli hingegen ist mir schon eine Komponente zu viel, um entspannt zu bleiben.
In dem wuchtigen Energiefresser fingere ich einen kindersarggroßen Karton mit Familienpizza ans Neonlicht und spüre, wie mir sofort der kalte Schweiß ausbricht. Wem im Supermarkt erst einmal der Schweiß ausbricht, der wird schnell schwerkrank, denke ich panisch und mir fallen Mutters mahnende Worte ein: Klimaanlagen! Ich hoffe sehnlichst, es wird dieses Mal nur eine unkomplizierte Lungenentzündung und ich kann in fünf bis acht Wochen das Bett wieder verlassen.
Es gab in meiner Kindheit nur eine Sache, die ich mehr fürchtete als Klimaanlagen und andere Kältequellen: Feuer! Ich schlief stets vollständig bekleidet und mit meinem kindlichen Körper der schmalen Kinderzimmertür zugewandt, um im Brandfall den Rauch schneller riechen zu können, während mir der unter meinem Bett ruhende Lederkoffer, in den ich meine wenigen bescheidenen Habseligkeiten eingepackt hatte, Sicherheit vorgaukelte. Im Falle eines Brandes wären der Wellensittich, zweihundert Gramm
Haribo
Cola-Fläschchen, ein stumpfes Taschenmesser, eine Packung Kinderpflaster mit Flugzeug-Aufdruck, ein Elefanten-Schlafanzug, zwei Scheiben Toastbrot, die ich alle vier Tage heimlich durch frischen Toast ersetzte, meine Aufklebetattoo-Sammlung und natürlich meine eigene Person sicher vor dem Flammeninferno, so kalkulierte ich.
Heute schläft mein Freund an der Seite des Bettes, die der Tür zugewandt ist. Falls jemand einbricht, wird er zum Glück zuerst getötet. Im Falle eines Feuers kann er mich schnell aus dem Fenster in den unteren Stock reichen und verbrennt dann heldenhaft. Das beruhigt mich etwas.
Ich besitze leider keine gepflegte Glasvitrine mit Sicherheiten, Nettigkeitspokalen und Porträtaufnahmen meiner schönsten Momente, denn die gibt es nicht. Ich muss selbstverständliche Dinge und Automatismen, wie Selbstbewusstsein oder den scheiß eigenen Standpunkt, den die moderne Gesellschaft einem ständig abfordert, jeden Morgen aus einer schier unendlichen Häufung an Zweifeln, Ideen und Bedürfnissen neu zusammenbasteln, um mit dem Resultat dann in die Welt da draußen loszumarschieren und zu versuchen irgendwie nicht umzukommen, was in Berlin im Allgemeinen und im Supermarkt im Speziellen fast unmöglich ist.
Ich trage ausschließlich Baumwolle, lange Hosen in gedeckten Tönen und funktionale Halbschuhe. Hemden und Blusen sind einfach nichts für mich. Es gibt nie - und das ist ein Naturgesetz - das richtige Wetter für diese Fehlkonstruktionen der Textilbranche. Immer ist es entweder zu kalt oder zu warm. Wer trotzdem Hemden trägt, legt sich mit der Natur an und wird diesen Zweikampf unter Garantie gnadenlos verlieren. Der Stoff ist außerdem unangenehm hart und ich bin ohnehin sehr empfindlich. Eine Bluse besitzt grundlos Knöpfe. Ich habe zwar viel Zeit, aber keine Motivation, die ich an das Knöpfen oder Schwitzen verschwenden möchte. Ich schwitze ohnehin zu viel und mit diesem Makel verlässt man bereits die Komfortzone der Blusen-Zielgruppe.
Ein Bügeleisen habe ich ebenfalls noch nie besessen und schäme mich kein bisschen dafür. Die letzten siebenundzwanzig Jahre habe ich ohne überflüssige Armbanduhr verbracht. Ich frage eben einfach nach der Zeit, wenn ich das Verlangen habe, meine Wahrnehmung in starren Zeiteinheiten zu rationalisieren und mich die Lust auf eine häppchenweise Verpackung meiner Nutzlosigkeit in Stunden- und Minuteneinheiten packt. Mache ich aber nicht, weil ich niemandem vertraue. Genauso verhält es sich mit dem Bügeln: Wenn ich Lust auf gebügelte Wäsche habe, dann kaufe ich mir eben neue Kleidung. So einfach ist das.
Wenn ich vergessen habe welche Jahreszeit gerade herrscht, schaue ich Werbefernsehen. Man wird mir dort schon verraten, was ich anziehen soll. Eine komfortable Hose? Ein Oberteil das den Bauchnabel verdeckt? Wetterfeste Schuhe? Toll! Dieses Gesamtpaket der textilen Lebenstauglichkeit reicht vollständig aus, um in der U-Bahn nicht von freundlichen Streetworkern angesprochen zu werden.
Leider kam ich in meiner Kindheit nie in den befriedenden Genuss eine Familienpizza mit meiner Familie zu verzehren. Obwohl meine fastfoodtechnisch stets unterengagierten Eltern zweifellos um die Existenz dieser verbrüdernden Köstlichkeit gewusst haben mussten,
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