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Damon Knights Collection 2

Damon Knights Collection 2

Titel: Damon Knights Collection 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon Knight
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Stück, welches Du mir vorlasest, gelacht – nicht Titus Andronicus (obwohl das auch komisch war), sondern das andere – daß Du erstaunt sein wirst, daß ich eine Zeile daraus behalten habe:
    Gute Nacht, gute Nacht!
    Süß ist des Abschieds Leid.
    So sag ich Gute Nacht,
    bis daß der Morgen mich befreit.
    In Liebe
    Nyctimene
     
    Ursa, die Haushälterin, die er mit dem Haus und dem umhegenden Land von seinen Eltern geerbt hatte, wußte schon, ohne den Brief gelesen zu haben, daß Nyctimene ihn verlassen hatte. Ursa hatte sein Verhältnis mit Nyctimene nie gebilligt, aber viel weniger noch seine Verlobung. Und jetzt verlor sie kein Wort über ihr Verschwinden. Mitleidslos bereitete sie das kalte Büfett für die Gäste dieses Abends und gebärdete sich mit ihren Salaten, Häppchen und kalten Braten wie die aufsichtführende Harpyie des Festes.
    Er stand im Eßzimmer, wo zwischen dem Plunder aus der Kredenz seiner Mutter – goldumrandetes Porzellan, schweres Silber, Kristall – auf dem großen Mahagonitisch Appetithappen, Salate und Saucen aufgebaut waren und sah zu den Flügelfenstern hinaus auf die kahlen, mondbeschienenen herbstlichen Hügel, die jenseits seines wasserbesprengten Rasens lagen. Die benachbarten Farmer hatten sich beschwert, als er seine Felder brachliegen ließ und eine Vogelfreistätte daraus machte. Es war, als ob sie geahnt hätten, daß das sie zusammenbringen würde.
    November. Der unbarmherzige Mechanismus der Sonne trieb den Wechsel der Jahreszeiten voran. Das Leben floh nach Süden oder schlief oder versenkte seine Samen und starb. Eine Generation folgte der anderen, er aber hatte immer außerhalb dieses Kreislaufs von Wiederkehr und Erneuerung gestanden. Und jetzt …?
    Ein zweites Mal konnte er es nicht ertragen, diesen Korb mit den fünf kleinen kostbaren Eiern zu sehen. Ob die ausgeschlüpften Jungen ihr gleichen würden? Oder würden sie wie Puppen eines Schmetterlings sein? Könnte er die Raupe lieben, wenn sie mit der Zeit zu einer zweiten Nyctimene werden würde?
    Nyctimene hatte gewußt oder darauf vertraut, daß er das könnte. Sie war aus der Abgeschiedenheit ihrer Beobachtungen heraus zu ihm gekommen (schon bekannt mit der Sprache, die er sprach, den Sitten seines Volkes und sogar den Büchern, die er gelesen hatte) und hatte sich ihm allein von allen Menschen der Welt anvertraut, so wie die Vögel sich der Dachrinne seines Hauses anvertrauten. Weil er auf diesen fremden Seitenwegen der Evolution zu Hause, nicht der übliche Typ eines trockenen Vogelbeobachters, weil er kein Ornithologe war.
    Wenn die Wissenschaft einem Korallenriff von in Höhlen der Spezialisierung verkrochenen Kleingeistern glich, dann erschien er als ein das Riff erforschender Taucher, der betäubt und verwirrt in einer einzigen Höhle geblieben war. In diesen Tiefen, in der Grotte der Ornithologie, hatte er jeden Sinn für sich selbst, ja sogar für sein Menschsein, verloren. So daß in Wirklichkeit nicht sie zu ihm, sondern er zu ihr in die Grotte gekommen war.
    Der erste Gast war Hochwürden Compson, der sich trotz des strengen Urteils der Stadt bereit erklärt hatte, seiner Verbindung mit Nyctimene einen nachträglichen Segen zu erteilen, natürlich nicht etwa um seinetwillen, sondern weil er mit seinen Eltern befreundet gewesen war.
    »Und die glückliche kleine Dame?« fragte Compson, als er den Salon betrat. »Wo ist sie?«
    »Verschwunden«, erklärte er und nippte an seinem zweiten Scotch. »Vielleicht nach Süden, es ist ja November.«
    »Schade«, meinte der Geistliche, dem sonst kein rechter Trost einfallen wollte.
    Draußen war der Mond vom Himmel verschluckt worden, und Wolken ballten sich, die Sterne verdunkelnd, zusammen. Sie hatte ihm nie gesagt, ob einer dieser Sterne, deren Rätsel ihm nun für immer verschlossen bleiben würden, ihre Heimat gewesen war und welcher, oder warum und wie sie fortgegangen war. Und er hatte solche Fragen nie gestellt.
    An einem Abend wie diesem, an einem mondlosen Abend im September hatte er sie kennengelernt. Zwei Nächte war er auf der Suche nach der großen Ohreule, Bubo virginianus, unterwegs gewesen, aber er hatte nur die Überreste ihrer Beute, Fetzen eines Kaninchenfells, den halslosen Kopf eines Huhns, gefunden. Er stieg zu der riesigen Eiche oben auf dem Hügel hinauf, weil sie, als einzige unter den Bäumen, der Eule angemessene Ausmaße besaß. Dort hatte sie, Nyctimene, ihn erwartet. Sie gab sich in keiner Weise den Anschein, als sei ihre

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