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Dark Room

Dark Room

Titel: Dark Room Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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gefolgt von kehligem, fast lustvollem Stöhnen.
    »Jetzt kräftiger, Mädchen.«
    Fiona walkte mit beiden Händen, setzte ein Knie auf, um sich besser bewegen zu können. Sie knetete den gesamten Rumpf von den Schultern bis kurz vor dem Steißbein und hob nur kurz den Kopf, als es unten von der Straße erneut zu Pfiffen und Rufen kam. Diesmal verstand sie eine Stimme, die dunkler und lauter war.
    »Ihr kommt in die Hölle!«, rief jemand, »Kinderficker!«, und kurz darauf »Mittelalter!«. Doch die Gesänge wurden wieder stärker, und »des Lebens Pein sei mein Elixier für deine Himmelssüße« drang zu ihr hinauf. Sie kniff die Augen zusammen, als könnte sie damit auch ihre Ohren verschließen. Dann fragte sie laut und bestimmt, damit sie auf jeden Fall eine Antwort erhielt: »Habe ich wirklich Evis Wagen zerkratzt?«
    Tante Lorina drehte ihr den Kopf zu, hielt die Augen aber weiterhin genüsslich geschlossen, während Fiona mit sanften Handkantenschläfen ihre Schultern bearbeitete. »Ich nehme mal an, du warst außer dir. Ich habe gesehen, wie du hinten aus dem Garten gekommen bist, etwas torkelnd übrigens und merkwürdig zurechtgemacht, du kamst wohl von einer Kostümparty? Ich schätze es überhaupt nicht, wenn ihr Mädchen so viel trinkt.«
    Fiona ging nicht darauf ein. »Was genau hast du gesehen?«
    »Du hast ihre beiden Spiegel weggetreten, und dann hast du vor dich hinschimpfend den Lack mit deinen Schlüsseln zerkratzt. Ich hatte schon befürchtet, dass du jemanden aufweckst. Was du da reingeritzt hast, konnte ich von hier oben natürlich nicht erkennen.«
    »Ich vermisse dich«, murmelte Fiona tonlos.
    Eine faltige Hand tätschelte ihr Knie.
    »Es hat mich so wütend gemacht. Du hast dafür gesorgt, dass sie in das Heim kommt. Wir hatten es doch gut. Und kaum ist sie volljährig, rennt sie zu ihrem Vater zurück, wird seine« – ihre Stimme nahm einen angeekelten Ton an – »Glaubensgattin und lässt mich einfach fallen.« Sie schluckte hart. »Ich vermisse sie.«
    Die Hand klopfte beruhigend auf ihr Knie. »Ich sag’s keinem, dass du das mit dem Auto warst. Die Polizei denkt sowieso, es war der Mörder.«
    Fiona hörte auf zu massieren. »Hast du noch jemanden gesehen in der Nacht? Jemanden außer mir? Hinter mir?«
    »Nein, aber ich stand auch nicht die ganze Zeit am Fenster. Mir ging es nicht gut, und ich musste immer wieder zum Sauerstoff. Am nächsten Tag, als die Polizei hier war, da hab ich einiges mitbekommen.«
    Fiona hockte sich ans Kopfende des Sofas und betrachtete Tante Lorina gespannt. Die ruckelte erst mit den Schultern, doch als Fiona sich nicht rührte, begann sie zu erzählen.
    »Auf eine verrückte alte Schachtel achtet niemand, weißt du, das ganze Leben ist man als Frau damit beschäftigt, gesehen und wahrgenommen zu werden, man malt sich an, stöckelt herum, korsettiert und rüscht sich. Dann wird man alt, und plötzlich ist man unsichtbar wie ein Geist. Da muss man sich entscheiden: jammern über das verlorene Leben oder die neue Freiheit genießen und herumspuken. Ich habe entdeckt, dass ein Leben im Verborgenen viele Möglichkeiten bereithält. Man kann immer Spaß haben auf die eine oder andere Art.«
    Fiona seufzte ungeduldig, zwang sich aber, ruhig zu bleiben.
    »Was hast du gesehen?«
    »Gehört hab ich. Direkt unter meinem Fenster haben sich zwei von der Kripo unterhalten. Und Fotos hab ich gemacht vom Abtransport der … na ja … der Überreste halt.« Sie stützte ihren Oberkörper auf, langte auf die Fernsehkonsole neben dem Sofa und zog einen braunen Umschlag unter einem Teller Muffins hervor. Der Umschlag blieb auf der Sofalehne liegen, Fiona wagte nicht, ihn zu berühren. Die Fototasche aus dem Schlafzimmer drückte in ihr Kreuz, sie fühlte, wie sich darunter ein Schweißfleck bildete.
    »Es gibt keine Einbruchsspuren am Haus. Die Latte im Zaun wurde verschoben, sie vermuten, dass der Mörder da rein ist. Es sind Trampelspuren im Gras. Die haben Gipsabdrücke genommen.« Sie machte eine kleine Pause und sagte dann fast triumphierend: »Und Evi wurde nicht vergewaltigt.«
    Fiona schloss die Augen und atmete ruckartig aus. Sie sah Funken im Dunkeln, und es rauschte in ihren Ohren. »Dafür hat er ihr sonst was angetan«, murmelte sie.
    »Ach, das, ja, ja, ja«, zwitscherte Tante Lorina, als sei das eine Nebensächlichkeit, »das mit dem Gesicht. Das wurde erst nach ihrem Tod gemacht. Auch die Haare. Davon hat sie nichts mitgekriegt. Anders als ihr Vater. Sagt

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