Darkover 24 - Die Schattenmatrix
zwei Schwestern, ihrer Liebe zueinander und ihrer schmerzlichen Trennung. Margaret konzentrierte sich, um die Geschichte zu verstehen, denn sie hatte sie weder als Lied noch als Erzählung vorher je gehört.
Sie fragte das wogende Schilf
Am Ufer des Valeron
Nach der geliebten Schwester Maris.
Sie fragte das Gras und den Fels
Am Ufer des Valeron
Nach ihrer teuren Schwester Maris.
Sie fragte das rauschende Wasser
Und erfuhr nur Zum Meer, zum Meer, zum Meer…
Die Verse wogten immer weiter, wie der Fluss und das Meer selbst, bis die Suchende alles und jeden, ob Strauch oder Tier gefragt hatte, wo Maris denn geblieben war. Das Lied hatte einen sanften, unheimlichen Rhythmus, wie der Wellenschlag am Strand bei Ebbe, leise und ein wenig traurig. Schon als das Lied begann, wusste Margaret, dass es keinen glücklichen Schluss haben würde. Und als die Verse sich dem Ende näherten, warf sich die namenlose Schwester in die rauschenden Fluten des Valeron und trieb dem kalten Meer von Dalereuth entgegen, während sie immerzu nach Maris rief, ohne eine Antwort zu erhalten. Der Refrain ›
Ahm Maree
‹
, »zum Meert, der mit dem Klang des Namens Maris spielte, jagte Margaret kalte Schauer über den Rücken. »Das war sehr schön«, sagte sie leise.
»Hm? Ach, das Lied? Das singe ich immer beim Abspülen -es passt zu der Arbeit.«
»Ja, das stimmt.«
Die Bank unter Margaret wirkte hart und unnachgiebig, nachdem das Lied verklungen war, und sie ließ die Schultern hängen. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Sie raffte sich auf, taumelte halb bis zur Feuerstelle und ließ sich neben Mikhail fallen. Ihre Strümpfe waren abstoßend schmutzig, aber sie hatte nicht die Kraft, sie auszuziehen. Margaret wappnete sich. Dann überprüfte sie die bewusstlose Gestalt neben sich. Mikhails Lebensfunktionen schienen alle normal zu sein, aber sein Geist blieb unerreichbar. Verzweiflung stieg in ihrer Kehle auf, doch sie drängte sie energisch zurück. Sie war jetzt zu erschöpft zum Denken. Später, wenn sie ausgeruht war, würde ihr sicher etwas einfallen.
Margaret ordnete die Decken neu, ohne auf den Pferdegeruch zu achten, der ihnen anhaftete. Sie kuschelte sich ein, spürte Mikhails Körper neben sich und nahm den männlichen Geruch wahr, den sie gelegentlich aufgeschnappt hatte, wenn sie ihren Vater umarmte. Bei dem Gedanken an Lew fragte sie sich, was wohl gerade auf Burg Comyn geschah, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie drehte sich zur Seite und bettete den Kopf an Mikhails Schulter. Eine Weile blieb Margaret einfach so liegen und hatte zugleich ein komisches und äußerst stimmiges Gefühl. Dann legte sie die rechte Hand über Mikhails linke und hörte die Armbänder aneinander klirren. Sie schloss die Augen. So ist also das Eheleben, dachte sie und lächelte.
30
Mikhail wachte abrupt auf, kein Halbschlaf, kein Träumen wie sonst. Im einen Augenblick stürzte er noch durch einen unendlichen Raum, im nächsten blickte er zu dunklen Balken empor, auf denen sich gurrende Tauben drängten. Wo war er?
Er drehte vorsichtig den Kopf und sah Marguerida, leise schnarchend in tiefem Schlaf an seiner Seite. Ein Wirrwarr von Bildern raste durch seinen Kopf; rosa Gras, ein großer Edelstein, eine leuchtende Frau und ein Mann auf einer Liege. Varzil der Gute! Er war tatsächlich in die Vergangenheit gereist und hatte mit dem alten Tenerezu gesprochen. Aber da war noch etwas. Mikhail tastete eine Weile nach dem flüchtigen Gedanken. Dann spürte er das Gewicht von Metall an seinem Handgelenk, und er erinnerte sich. Wir sind verheiratet. Endlich! Mutter wird uns nie verzeihen! Dann unterbrachen die Bedürfnisse seines Körpers seine Gedanken. Mikhail setzte sich rasch auf, und ihm wurde schwindelig. Seine Blase war kurz davor zu bersten, und er hatte einen Bärenhunger. Er stand mühsam auf und stolperte zur Tür, wobei er unterwegs das Zugband seiner Hose löste. Er schaffte es gerade noch einige Schritte aus der Tür hinaus in eine schlammige Wagenspur, wo er stehen blieb und sich erleichterte. Dann schnürte er seine Hose wieder zu und stand leicht schwankend einfach nur da, während kaltes Wasser durch seine Strümpfe drang. Wenn er doch nur ein trockenes Plätzchen finden könnte! Er lehnte sich an eine Wand, atmete tief durch und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Wunsch, sich einfach in die Pfütze zu setzen.
Als seine Beine aufhörten zu zittern, ging er zurück ins Haus. Wo war er? Er kam sich schwach und
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