Darkover 25 - Der Sohn des Verraeters
erleben eine ganz andere. Er hatte erst in Jahrzehnten mit Regis’ Tod gerechnet, und obwohl seit dem Ereignis bereits einige Zeit vergangen war, empfand Mikhail erst beim Betreten des Saals das ganze riesige Gewicht dessen, was ihn erwartete. Alle Geschehnisse hatten etwas Unwirkliches an sich gehabt, bis er den leeren Stuhl erblickte, auf dem sein Onkel bei so vielen Anlässen gesessen hatte.
Er sah seine Frau an und bemerkte ihre extreme Blässe und ihre angespannte Haltung. Die bevorstehende Versammlung des Comyn würde schwierig werden, das wussten sie beide, und es war Margueridas Gesicht abzulesen. Mikhail erfasste ihre blitzenden goldenen Augen, in denen so viel Klugheit lag, die Locken ihres noch immer feuerroten Haars und die Art, wie sie die Mundwinkel fest nach innen zog. Sie sah so Ehrfurcht gebietend aus, wie sie war, und er spürte, wie ihm neuer Mut erwuchs, weil er sie mit ihrer wilden Entschlossenheit an seiner Seite wusste. Er wusste auch, wie müde sie in Wirklichkeit war, und doch sah man ihr nichts davon an. Jetzt musste er sich nur noch als ebenbürtig erweisen, Stärke zu Stärke.
Aus dem Augenwinkel erspähte Mikhail ein paar Schritte hinter sich Donal Alar und daneben seinen Bruder Rafael. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass Rafael den Kristallsaal betrat, seit Regis ihn wegen Giselas Dummheiten ausgesperrt hatte. Die Sache entbehrte nicht einer gewissen Ironie, da Rafaels Ehe mit der Aldarantochter hauptsächlich Regis’ Idee gewesen war. Es war eine politische Heirat gewesen, ein Versuch, Dom Damon zufrieden zu stellen, damit er endlich Ruhe gab. Das war natürlich gescheitert, da der alte Herr der Domäne Aldaran höchstens im Grab Ruhe geben würde. Und es hatte für Rafael und Gisela vie l Unglück bedeutet. Mikhail rief sich den Gesichtsausdruck seiner Schwägerin in Erinnerung, als er zu den beiden gegangen war, um mit seinem Bruder zu sprechen. Er wusste nun, dass sie Rafael aufrichtig liebte. Es befriedigte ihn sehr, seinen Bruder hinter sich zu haben und um seine Unterstützung zu wissen, die er sicher brauchen würde, wenn er die nächsten Stunden überstehen wollte.
Mikhail beschloss, dankbar zu sein für das, was er hatte für seine Frau, seinen Bruder, seinen Friedensmann und den Rest seiner getreuen Berater. Er bemühte sich angestrengt, nicht an die unvermeidliche Konfrontation mit seiner Mutter zu denken, bei der es sicher lautstark zugehen würde im Saal.
Wenigstens würde sich endlich die Spannung lösen, die das Leben in der Burg während der letzten Tage so ungemütlich gemacht hatte. Er wusste nur nicht, ob das ein Segen war oder ein Fluch. Ein Lachen stieg in ihm auf. Trotz der frechen Worte hatte keiner der Männer, die an der Besprechung im Arbeitszimmer teilgenommen hatten, den Nerv besessen, Javanne Hastur ein Mittel zu verabreichen, das sie zum Schweigen brachte, nicht einmal Lew Alton. Abgesehen davon waren sie dafür zu moralisch, und es wäre auf lange Sicht auch keine Lösung gewesen.
Mikhails Aufmerksamkeit kehrte zu seiner Frau zurück. Es war beinahe schade, dass sie beide im Laufe der Jahre so zurückhaltend geworden waren. Mikhail erinnerte sich mit einem fast nostalgischen Vergnügen an ihre ersten Auseinandersetzungen. Jenes erste Treffen kam ihm in den Sinn, bei dem er ihr vorgewo rfen hatte, sie wolle seine Eltern aus Armida hinauswerfen. So hatten sie seit Jahren nicht mehr gestritten, und er vermisste es. Stattdessen hatten sie sich zähneknirschend zurückgenommen, gefaucht und geflüstert, fast als fürchteten sie sich, ihre Furien ans Licht kommen zu lassen.
Der Einfall ließ ihn tatsächlich kichern, und Marguerida musterte ihn streng. Die riesigen Matrizen in der Decke des Raumes verhinderten jede Art telepathischer Kommunikation, deshalb konnte sie seinen Gedanken nicht auffangen. »Sagst du mir, was so komisch ist, Mik?« Ihre sonst so wohlklingende Stimme war vor Anspannung heiser.
»Natürlich, Caria. Ich habe nur gerade gedacht, wenn wir nicht so beherrscht wären, sondern mehr wie meine Mutter, könnten wir uns wundervoll amüsieren, indem wir ständig in der Gegend herumbrüllten.« Zu Mikhails Freude lockerte ein kleines Lächeln ihren starren Gesichtsausdruck. »Ich würde mich zwar niemals in dieser Weise erniedrigen, aber ich gebe zu, die Versuchung ist sehr stark. Für einen netten kleinen hysterischen Anfall oder einen Tobsuchtsanfall würde ich jetzt viel geben. Alanna hat’s gut, die kann das!« Er hörte, wie
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