Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
»Wir haben nicht nur Liliths Plan der Ermordung des Königs vereitelt; ich denke, sie ist bestimmt auch nicht so dumm, noch länger in London zu bleiben. Und den Ring von Jubai hat sie dank Sebastian auch nicht in die Finger bekommen. Wayren kann ihn jetzt zu der Sammlung im Konsilium geben.«
Alle nickten.
»Und die Königin von England ist also ein Vampir, der bei Tage umgeht«, meinte Brim mit ungläubiger Stimme. »Warum hat das denn keiner gemerkt?«
»Ich wage zu behaupten, dass sie das Elixier wohl vom Tage ihrer Umwandlung an eingenommen hat, und das kann nicht sehr lange zurückliegen. Also wird sie sterben«, erklärte Victoria schlicht. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie noch länger als ein oder zwei Wochen durchhält.« Sie zuckte die Achseln. »Wir könnten ihr bestimmt helfen, es ein bisschen zu beschleunigen … aber ich sehe keinen Anlass, das zu tun. Warum sollten wir das Risiko eingehen, in die Sache hineingezogen zu werden?« Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Die Erfahrungen, die ich mit Bow Street R unnern und Newgate gemacht habe, sind so schlecht, dass ich lieber eine Weile anonym bleiben möchte.«
»Und Gwendolyn. Wie lange ist sie untot gewesen?«, fragte Michalas.
Plötzlich machten Victoria all die Fragen ungeduldig. Sie wollte, dass alle gingen; sie brauchte Zeit für sich selbst. So viel war passiert, so vieles hatte sich verändert. Sie konnte den Blick kaum von Max abwenden, musterte jeden Kratzer, jede Narbe, jede Stelle seiner Haut, die aufgeschürft war … und die hässlichen Bisswunden an seinem Hals, die nicht annähernd so schnell heilen würden wie bei ihr. Aber zumindest waren es nur Bisse von Lilith und sonst nichts.
Er dagegen saß düster zurückgezogen in der Ecke und sagte nur wenig. Warf ihr nur hin und wieder finstere Blicke zu, die ganz gewiss nicht von Zuneigung sprachen. Er war wütend auf sie. Sehr wütend – in einer Weise, wie sie es noch nie bei ihm erlebt hatte.
Das ließ in ihr die Frage aufkommen, was sie denn eigentlich meinte in seinen Augen gesehen zu haben, als sie einander in Liliths Unterschlupf angeschaut hatten. Hatte sie es sich nur eingebildet?
Und Sebastian … Victoria merkte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Er hatte sich distanziert; war zwar immer noch sehr von sich eingenommen und gewinnend in seiner Art, aber eben … distanziert. Seit er sie aus dem Wasser gezogen und vor Bemis Goodwin gerettet hatte, war irgendetwas anders geworden.
Zuneigung stieg in ihr auf … und eine Vorahnung. Sie musste mit ihm reden. Ihr Blick fiel auf ihre vernarbten Hände, und sie ließ Sebastian mit seinen eigenen Vermutungen auf Michalas’ Frage antworten.
»Es ist nicht ganz klar, wie lange sie schon untot war, aber sie kann das Elixier natürlich nicht sehr lange zu sich genommen haben. Höchstwahrscheinlich hat sie mit der Einnahme nach der R ückkehr ihres Bruders – mit der Königin und dem Trank – aus Italien begonnen.«
Sebastian schien ein Bedürfnis danach zu haben zu reden, während Max nur finster in seiner Ecke saß. Victoria spürte seine Ungeduld, sein Verlangen, hier endlich rauszukommen.
»Ich habe nur den Verdacht«, fuhr Sebastian fort, »und wir werden wohl nie mit Sicherheit erfahren, ob Gwendolyn bereits der Tutela angehörte, als Victoria und ich mit John Polidori bei ihrer Feier waren. Sie muss irgendetwas lange Zeit geplant haben – und dann musste sie warten, bis wir aus Italien zurückkehrten.«
»Aber sie hat dir ihren Bruder hinterhergeschickt«, sagte Max.
Michalas nickte, während seine Augen vor Erheiterung blitzten. »Alle Frauen wollten unsere Victoria unschädlich machen, nicht wahr? Lilith, Caroline, Sara, Gwen … aber alle Pläne wurden von Victoria vereitelt.«
»Du bist müde«, sagte Wayren und stand plötzlich auf. Vielleicht spürte sie, was unterschwellig mitschwang, oder vielleicht merkte sie auch nur, dass Victoria tatsächlich erschöpft war. Tief betrübt, besorgt, erschöpft … und doch hoffnungsvoll. Lächerlich hoffnungsvoll. »Wir können ein andermal darüber sprechen.«
Niemand widersprach Wayren. Max war der Erste, der das Zimmer verließ. Er humpelte und bewegte sich ein bisschen vorsichtig, aber immer noch geschmeidig. Und fort war er.
Sebastian blieb, als Victoria ihn am Handgelenk festhielt.
Die Tür schloss sich, und sie waren allein.
Er sagte nichts, sondern schaute sie nur an.
»Sebastian … ich«, fing sie an, doch er hob seine Hand – die mit den vier
Weitere Kostenlose Bücher