Das Chagrinleder (German Edition)
dachte, indem es alle Formen annahm, allen Launen gehorchte. Durch das Geheul der Blasebälge, das Crescendo der Hämmer, das Pfeifen der Walzen, unter denen das Eisen ächzte, gelangte Raphael in einen großen sauberen und gut durchlüfteten Raum, in dem er die ungeheure Presse, von der ihm Planchette gesprochen hatte, in Muße betrachten konnte. Er bewunderte eine Art gußeiserne Bohlen und Preßwangen aus Eisen, die durch einen unzerstörbaren Kern verbunden waren.
»Wenn Sie siebenmal hintereinander schnell diese Kurbel drehen würden«, sagte Spieghalter und wies auf eine Art Pumpenschwengel aus blankem Eisen, »dann würden Sie eine Stahlplatte in tausend Splitter zersprengen, die Ihnen wie Nadeln ins Fleisch dringen würden.«
»Donnerwetter!« rief Raphael.
Planchette legte eigenhändig das Chagrinleder zwischen die beiden Platten der mächtigen Presse und bediente, voll der von wissenschaftlichen Überzeugungen getragenen Sicherheit lebhaft den Schwengel.
»Auf den Boden, oder wir sind alle des Todes!« schrie Spieghalter mit donnernder Stimme und warf sich selbst flach hin.
Ein schreckliches Pfeifen erfüllte die Werkräume. Das Wasser in der Maschine sprengte das Eisen, schoß in einem Strahl von furchtbarer Gewalt hervor, der sich zum Glück gegen einen alten Schmiedeherd lenkte, den er umwarf, zerschmetterte und herumschleuderte, wie eine Windhose ein Haus erfaßt und mit sich fortreißt.
»Oh«, sagte Planchette in aller Ruhe, »das Chagrinleder ist heil wie mein Auge! Meister Spieghalter, es war ein Sprung in Ihrem Guß oder eine undichte Stelle im großen Rohr.«
»Nein, nein, ich kenne meinen Guß. Monsieur soll nur sein Zeug wieder mitnehmen, der Teufel sitzt drin.«
Der Deutsche nahm einen Schmiedehammer zur Hand, legte das Stück Leder auf einen Amboß und ließ mit der ganzen Kraft, die der Zorn verleiht, einen so furchtbaren Schlag auf den Talisman niedersausen, wie er in seinen Werkstätten noch nie erdröhnt war.
»Er zeigt sich bloß nicht!« rief Planchette und strich über das widerspenstige Leder.
Die Arbeiter liefen herbei. Der Werkmeister nahm das Leder und steckte es in die glühende Steinkohle seines Schmiedefeuers. Alle standen im Halbkreis um das Feuer und beobachteten ungeduldig das Auflodern der von einem ungeheuren Blasebalg angefachten Flammen. Raphael, Spieghalter und Professor Planchette standen in der Mitte dieser schwarzen lauernden Menge. Als Raphael all diese weißen Augen, diese mit Eisenstaub gepuderten Köpfe, diese rußig glänzenden Arbeitskleider, diese behaarten Brüste sah, glaubte er sich in die nächtliche, phantastische Welt der deutschen Balladen versetzt. Der Werkmeister ergriff schließlich das Leder mit einer Zange, nachdem er es zehn Minuten lang im Feuer gelassen hatte.
»Geben Sie es mir«, sagte Raphael.
Der Werkmeister streckte es Raphael wie zum Spaß hin. Der Marquis nahm es einfach in die Hand: es war kalt und geschmeidig. Die Arbeiter schrien vor Entsetzen auf und flohen. Valentin blieb mit Planchette allein in der leeren Werkstatt. »Kein Zweifel, es sitzt etwas Teuflisches darin!« rief Raphael verzweifelt; »keine Macht der Erde kann mir also einen Tag Leben dazugeben?«
»Ich habe unrecht gehabt«, versetzte der Mathematiker mit zerknirschter Miene, »wir hätten diese absonderliche Haut der Einwirkung eines Walzwerks aussetzen müssen. Wo hatte ich meine Augen, als ich Ihnen eine hydraulische Presse vorschlug!«
»Ich selber hatte es gefordert«, erwiderte Raphael.
Der Gelehrte atmete auf wie ein Schuldiger, der von zwölf Geschworenen freigesprochen wird. Das seltsame Problem, das dieses Stück Leder ihm aufgab, beschäftigte ihn dennoch, er dachte eine Weile nach und sagte schließlich:
»Man muß diesen unbekannten Stoff mit Reagenzien behandeln. Wir wollen Japhet aufsuchen, vielleicht hat die Chemie mehr Glück als die Mechanik.«
Valentin trieb sein Pferd schnell an, damit sie den berühmten Chemiker Japhet noch in seinem Laboratorium anträfen.
»Nun, alter Freund«, sagte Planchette, als er Japhet begrüßte, der in einem Lehnstuhl saß und einen Niederschlag betrachtete, »wie geht's der Chemie?«
»Sie schläft ein; nichts Neues. Die Akademie hat allerdings die Existenz des Salizin anerkannt, aber Salizin, Asparagin, Vauquelin, Digitalin, das sind alles keine Entdeckungen.«
»Es scheint«, sagte Raphael, »daß Sie, da sich Substanzen nicht erfinden lassen, darauf angewiesen sind, Namen zu erfinden.«
»Das ist bei
Weitere Kostenlose Bücher