Das Dante-Ritual (German Edition)
tun? Beekmann verfluchte den Tag, an dem irgendein verweichlichter Bürokrat den Studenten Werkzeuge wie das Studierendenparlament oder den AStA an die Hand gegeben hatte. Was Philip Kramer und seinen Einfluss auf die Münsteraner Hochschulpolitik betraf, so hatte sich dieses Problem erledigt, und die Erinnerung an die Vorkommnisse im Philosophischen Seminar brachte Beekmann noch immer zum Schmunzeln. Kramers Tage waren gezählt, und ein geeigneter Nachfolger stand schon parat. Dafür hatte er in weiser Voraussicht längst gesorgt. Carsten Bruns war genau der richtige Mann. Durch ihn würde er endlich auch die Kontrolle über den AStA besitzen und im Hintergrund die Fäden ziehen können, wie er es andernorts schon seit Jahren tat. Hochschulrektoren kamen und gingen. Walter Beekmann blieb. Warum sollte er sich der Öffentlichkeit als angreifbare Zielscheibe präsentieren? Nein, Beekmann gefiel sich in der Rolle des Schattenmanns hinter den Kulissen. Bruns´ Werdegang hatte er aufmerksam verfolgt. Er würde sich als loyaler Gefolgsmann erweisen. Wie zuvor auch Jan Lohoff.
Der Gedanke an den jungen Dozenten, in den er so große Hoffnungen gesetzt hatte, ließ Beekmann wütend werden. Schon seit geraumer Zeit konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass Lohoff seiner Kontrolle zu entgleiten drohte. Sobald die Akte Philip Kramer in den akademischen Reißwolf wanderte, würde er eine ernste Unterredung mit ihm führen müssen. Langsam, aber stetig hatte sich Jan Lohoff von seinem Mentor abgewandt, und bei der Betreuung von Frank Laurenz hatte er erstmals Schwächen offenbart. Beekmann war bemüht gewesen, Laurenz´ Dissertation in akzeptablen Grenzen zu halten, während Lohoff den ungestümen Studiosus in seinen blasphemischen Thesen regelrecht zu ermutigen schien. Frank Laurenz war zu einem Risikofaktor geworden. Beekmann hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, ihm das Stipendium zu entziehen.
Die Videoaufnahme fiel ihm wieder ein. Die Wirkung der Bilder war erschütternd gewesen, sicherlich, aber er hatte es sich ansehen wollen . Hatte seine Beziehungen spielen lassen und genau gewusst, was ihn erwartete. Auch die Entscheidung, Jan Lohoff zur Teilnahme zu bewegen, hatte sich als kluger Schachzug erwiesen. Hatte er doch die Reaktionen offenbart, die Beekmann befürchtet hatte. Nein, je mehr er darüber nachdachte, desto mehr reifte in ihm die Erkenntnis, dass Lohoff auf Dauer nicht mehr tragbar war. Vielleicht war es an der Zeit für ein neuerliches Gespräch mit seinem alten Weggefährten Dieter Strathaus.
Beekmann zog seine Taschenuhr aus der Westentasche. Viertel nach fünf. In einer Dreiviertelstunde begann Philip Kramers letzte StuPa-Sitzung.
Um kurz vor sechs betrat Professor Beekmann den Hörsaal S9 im Schloss am Hindenburgplatz. Eigentlich entsprach es nicht seinem Naturell, an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen, aber nach reiflicher Überlegung hatte er sich entschieden, sein ehernes Prinzip aus gegebenem Anlass zu vernachlässigen. Die heutige Sitzung des Studierendenparlaments würde einen Schlussstrich unter Philip Kramers hochschulpolitische Karriere ziehen. Dieses denkwürdige Ereignis konnte er sich einfach nicht entgehen lassen.
Der Hörsaal war in einem erbärmlichen Zustand. Von den Wänden bröckelte der Putz, die Stuckverzierungen waren vergilbt, die hölzernen Bänke morsch und mit Sprüchen beschmiert. Der Anblick versetzte Beekmann einen Stich. Seine Bemühungen, einen potenten Spender für den Umbau der Räumlichkeiten des Schlosses zu finden, waren bislang nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Ein halbes Jahr wollte er sich noch geben. Mehr nicht. Und wenn er die Instandsetzung aus eigener Tasche bezahlen musste.
Carsten Bruns, der am Pult gestanden hatte, eilte auf ihn zu, und Beekmann musste sich verärgert eingestehen, ein öffentliches Zusammentreffen mit seinem Kandidaten nicht bedacht zu haben. Wie musste es auf die Studenten wirken, wenn die Person, die Kramers Absetzung initiiert und auf die Tagesordnung gebracht hatte - wenn auch nur als Strohmann -, vor aller Augen mit ihm sprach.
„Philip hat mich vor einer Stunde angerufen, Herr Professor“, raunte der kleingewachsene Medizinstudent ihm zu. „Fragen Sie mich nicht, wieso, aber er wird nicht erscheinen.“
„Was soll das heißen? Was glauben Sie, warum ich hier bin? Um mir eine banale Debatte über ach wie ungerechte Studiengebühren anzuhören?“
„Entschuldigung, Herr Professor, aber besser hätte es doch gar
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