Küss niemals deinen Ex (Top Deal) (German Edition)
1
Mein Auftritt hätte unauffälliger nicht sein können. Mit einem lauten „Huch“, einem Satz nach hinten und einem Stapel Kopierpapier, der langsam, aber sicher zu Boden glitt, begrüßte mich die Sekretärin meiner Schwester. Ich gebe es zu: Ich sah möglicherweise ein wenig seltsam aus. Es war Hochsommer und ich trug etwas, das wie eine Kreuzung zwischen einer missratenen Soutane und einem Wintermantel aussah.
Mit kalkweißem Gesicht lehnte Frau Meisel, so hieß die Sekretärin meiner Schwester, an der Wand und hauchte: „Haben Sie mich erschreckt Frau Weiss. Ich habe Sie gar nicht erkannt.“
Immerhin dachte sie nicht spontan an mich, wenn sie jemanden mitten im Hochsommer in einem langen, braunen Kittel herumlaufen sah. Eigentlich hatte ich gehofft, mich unauffällig an ihr vorbei in das Büro von Irene, meiner Schwester, schleichen zu können, aber die arbeitsame Frau Meisel war zu einer Zeit an ihrem Arbeitsplatz, zu der sie in einem Salat pickend in der Kantine hätte sein sollen.
Das war Pech, denn Irene hatte von mir verlangt, dass ich unsichtbar und möglichst unauffällig kommen sollte. Zumindest glaubte ich, so etwas vernommen zu haben, ganz sicher war ich mir im Nachhinein nicht mehr. Irene hatte mitten in der Nacht angerufen, mich aus dem Schlaf gerissen und etwas von wichtig, unbedingt schnellstens nach Frankfurt kommen und unsichtbar gefaselt. Oder war es umsichtig gewesen? Oder vorsichtig?
Niemand konnte von mir erwarten, am frühen Morgen um elf Uhr einen klaren Gedanken zu fassen. Nicht einmal meine Schwester mit ihrem dringenden Notfall. Mittlerweile hatte ich vier Stunden Autofahrt hinter mir. Kein Vergnügen, wenn man ein Auto fuhr, wie ich eins hatte. Noch weniger Vergnügen, wenn man gerade aufgestanden war und noch nicht gefrühstückt hatte. Frau Meisel wusste ja nun, dass ich da war, also konnte sie mir auch gleich etwas zu Essen bringen. Und Kaffee, viel Kaffee!
Doch bevor ich sie darum bitten konnte, öffnete sich Irenes Bürotür. Meine Schwester streckte ihren Kopf heraus und fragte mich, wo ich denn bliebe und was der Lärm sollte. Frau Meisel hatte sich gefasst und sammelte hektisch das Kopierpapier ein. Ich wollte ihr dabei helfen, wurde aber von Irene ins Büro beordert. Mit einem: „Frau Meisel bitte bringen Sie meiner Schwester einen Kaffee, wenn Sie fertig sind“, wollte sie die Tür schließen. Ich schaffte es glücklicherweise noch: „Und bitte ein paar belegte Brötchen“, zu rufen, bevor wir allein waren.
Wir setzten uns. Meine Schwester musterte mich irritiert.
„Wie siehst du denn aus?“
„Ich sollte möglichst unauffällig sein, hast du gesagt“, erwiderte ich, ganz die trotzige kleine Schwester.
„Das ist deine Version von unauffällig?“
„Ja. Ist dir das noch nie aufgefallen? Niemand beachtet einen Bettler oder Menschen, die aussehen als würden sie dich jeden Augenblick um Geld anhauen. Keiner sieht dir in die Augen, wenn du so aussiehst und alle machen einen großen Bogen um dich.“
Irene seufzte, verzichtete aber auf einen weiteren Kommentar. Im Gegenteil zu mir schaffte sie es Gesprächsthemen fallen zu lassen, die nicht zielführend waren. Außerdem war sie erfolgreich, wohlhabend und mit einem rationalen Verstand gesegnet, der sie zu einem der besten Anwälte Deutschlands machte. Ich besaß keine dieser Eigenschaften.
„Ich möchte, dass du jemanden für mich findest. Es handelt sich dabei um den Neffen eines Mandanten.“
Irenes Mandant musste ziemlich reich sein, wenn er sich ihren Stundensatz leisten konnte. Von einem ihrer Tagessätze konnte ich ohne Probleme einen ganzen Monat lang leben. Während sie mit mir sprach, blinkte ständig das Lämpchen am Telefon meiner Schwester, das einen eingehenden Anruf anzeigte, was meine Schwester gekonnt ignorierte. Als sie meinen fragenden Blick bemerkte, meinte sie nur: „Es ist auf Frau Meisel umgestellt. Ich möchte nicht gestört werden.“ Ach hätte ich doch auch eine Sekretärin! Wenn ich nicht gestört werden wollte, musste ich mein Handy ausschalten und vergaß oft, es wieder einzuschalten. Mit dem Ergebnis, dass ich manchmal tagelang nicht erreichbar war.
Hatte sie etwas von Finden gesagt?
„Augenblick mal. Ich soll jemanden finden?“
„Ja, das sagte ich doch gerade.“ Ähnlich wie ich, war auch meine Schwester nicht mit Geduld gesegnet.
„Ich bin kein Detektiv.“
„Das weiß ich. Aber Du hast Zeit, bist intelligent und brauchst Geld.“
Da hatte sie recht,
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