Das Echo der Flüsterer
natürlich darum, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Das mag nicht unbedingt zur Stützung der Legende vom strahlenden Helden Kennedy und vom abgrundtief bösen Chruschtschow beitragen. Vielmehr drängte sich mir im Laufe der Recherchen der Eindruck auf, dass solche Legenden sehr bewusst konstruiert und lanciert wurden. Beide Männer, JFK und Nikita Chruschtschow, hatten ihre hellen und dunklen Seiten. Auch dies zu zeigen war mir wichtig. Fast alle historischen Episoden haben sich so, wie von mir geschildert, oder zumindest doch in ähnlicher Weise zugetragen – dies schließt auch Jack Kennedys Gespräche mit seiner kleinen Tochter Caroline ein, die ihm vielleicht geholfen hat den Finger vom roten Knopf zu lassen.
Einen wesentlichen Beitrag zur Authentizität des Romans liefern auch die verschiedenen Zitate von Kennedy, Chruschtschow, Castro und ihren Beratern. Nur am Rande bin ich auf die Bemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Sithu U Thant, im Konflikt zu vermitteln, eingegangen. Auch die wirkliche Dauer der Krise habe ich nur umrissen. Sie geht weit über die fiktive Handlung hinaus. Am 8. November 1962, also noch in der heißen Phase der Krise, führte ein Sabotageteam auf Kuba eine Aktion durch. Wieder war es Glück oder göttliche Fügung, dass eine Katastrophe verhindert wurde. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen verlangte Chruschtschow von den USA wiederholt eine Garantie weder eine Invasion auf Kuba noch einen Putschversuch gegen Fidel Castro durchzuführen oder zu unterstützen. Kennedy und andere US-Offizielle wollten sich diese Optionen aber partout nicht nehmen lassen. Sie waren ihnen wichtiger als eine schnelle und sichere Beilegung der Kubakrise. So zog sich der Abtransport der nuklearen Gefechtsköpfe aus Kuba – jener todbringenden Komponenten also, von denen die Amerikaner lange Zeit überhaupt nichts wussten – noch bis zum 1. Dezember 1962 hin. Danach setzte der CIA seine Bemühungen fort den Störfaktor Castro durch Mordkomplotte aus dem Weg zu räumen. Alle Versuche schlugen fehl. Der »Teufel in der kubanischen Uniform« blieb unversehrt und empfing, als ich gerade an meinem Buch arbeitete, den Papst in Havanna.
Im Jahre 1975 soll bekannt geworden sein, dass schon am 16. Oktober 1962 – also dem Tag der allerersten ExComm-Sitzung – vier von sechs sowjetischen Raketenstellungen einsatzbereit waren. JFK soll davon gewusst haben. Alle anderen von mir untersuchten Dokumente gehen von einem späteren Zeitpunkt für die Einsatzbereitschaft der Abschusseinrichtungen aus. Ich habe beide Möglichkeiten eingeräumt, indem ich JFK am Morgen des 16. Oktober 1962 zu seinem Bruder sagen lasse, er, Bobby, wisse, was diese Nachricht bedeute.
Unbestritten ist die erst 1992 an die Öffentlichkeit gebrachte Tatsache, dass zusätzlich zu den von den USA so gefürchteten Mittelstreckenraketen auf Kuba neun einsatzbereite taktische Raketen mit Atomsprengköpfen stationiert waren, die Chruschtschow dem unmittelbaren Befehl sowjetischer Offiziere unterstellt hatte. Im Falle eines Invasionsversuches der USA hätten diese Raketen ohne weitere Abstimmung mit dem Kreml abgefeuert werden können. Robert McNamara schrieb einmal, dass die USA auf einen Atomschlag der UdSSR ebenfalls nur mit nuklearen Waffen hätten antworten können. Es liegt wohl auf der Hand, wie dies ausgegangen wäre.
Chruschtschow schrieb nach der Krise in einem Brief an John F. Kennedy: »Meine Aufgabe war einfacher als die Ihre, weil es in meiner Umgebung keine Leute gab, die einen Krieg vom Zaun brechen wollten.«
Ich finde diese Bemerkung höchst interessant. Die Frage, die sich mir (und nach der Lektüre meines Buches vielleicht auch anderen) stellt, ist letztlich diese: Kann man Waffen konstruieren, ohne sie auch irgendwann einzusetzen?
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