Das Echo der Vergangenheit
begutachtete die Situation. Matt nickte ihm zu, dann schob er den ältesten Jungen zur Tür. »Macht euch keine Sorgen, Kinder. Wir geben Mama und Papa die Gelegenheit, sich zu vertragen.« Der erste Kontakt beschränkte sich meistens auf die Erkundung der Lage: Fragen, Beobachtungen und Einschätzung. Diesmal hatten sie ihm die Raterei abgenommen.
* * *
Vier Tage nach ihrem Anruf bei Lance parkte Sofie ihr Auto und musterte die Villa, die einmal das Zuhause ihrer Großmutter im Weinland von Sonoma gewesen war. Das Haus mit seinen Bögen und Erkern, umgeben von einem schmiedeeisernen Zaun, hatte Geheimnisse zu verbergen gehabt, bis Lance sie entdeckt hatte – zusammen mit den Gebeinen ihres Ururgroßvaters. Es war immer noch unfassbar, sich Nonna Antonia irgendwo anders vorzustellen als in ihrem Belmont-Viertel, wo sie ihr ganzes Leben verbracht hatte, abgesehen von dem Teil ihrer Geschichte, den niemand gekannt hatte.
Wenn Nonna sich selbst neu erfinden konnte, dann floss sicherlich auch etwas davon in den Adern ihrer Enkelin. Sofies Blick wanderte zu den zart bläulichen Verzweigungen, die unter ihrer Haut kaum sichtbar waren. Neue Anfänge wurden nicht genetisch weitergegeben. Ob sie Erfolg hatte, lag an ihr.
»Sofie.« Lance kam ums Haus herum und schloss sie in die Arme. »Wie geht es dir?«
Das sollte sie eigentlich ihn fragen. Obwohl er dünner war, als ihr lieb sein konnte, sah er nicht so ausgemergelt aus wie vorher. Er hatte seine inneren Konflikte ausgetragen und war gestärkt aus diesem Kampf hervorgegangen. War sie die einzige Michelli ohne die Fähigkeit zur Wiedergeburt? Oder hatte sie diese Karte schon ausgespielt? Im schützenden Schatten der Villa hob sie das Kinn. »Gut. Und dir?«
»Bestens.«
»Isst du denn auch genug?«
»Jetzt klingst du wie Mama.«
»Das hat sie mir aufgetragen.« Sie lachte über sein Seufzen. »Aber hier können wir uns das wohl schenken.«
Er grinste. »Ich bin mir beinahe sicher, dass selbst sie nicht so weit gucken kann.«
»Aber wahrscheinlich kann sie uns hören.« Lachend blickte sie an dem Haus hoch. »Es ist schön.«
»Warte ab, bis du gesehen hast, was Rese drinnen vollbracht hat. Sie ist eine Meisterin.«
»Ich habe gesehen, wie sie Pops Decke hingekriegt hat.«
»Das war gar nichts. Sie hat hier drinnen Holzarbeiten gemacht, die einem die Tränen in die Augen treiben.«
»Nicht, dass du stolz wärest.« Sie lächelte ihm zu. »Läuft es gut?«
»Wenn ich es noch einmal vermassle, bin ich ein toter Mann. Ab in die Kiste und Deckel drauf.«
Er war der Einzige, der über das Thema Tod sprach. Er konnte nicht ahnen, wie sehr sie das zu schätzen wusste. »Dann vermassle es nicht.«
»Das ist der Plan.«
»Du vermasselst die Dinge nur, wenn du wegwillst. Und ich habe das Gefühl, dass das hier nicht der Fall ist.«
Er lächelte. »Ich bin froh, dass du hier bist.«
»Ich auch.« Mama hatte recht gehabt mit ihrem Rat, Sofie solle zu Lance fahren. Sie hatte gehen müssen, aber keiner von ihnen konnte lange ohne die Familie auskommen. Das hatte sie am eigenen Leib erfahren.
Er zog die beiden größeren Koffer aus dem Kofferraum und einer davon setzte mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf. »Was hast du denn hier drin?«
»Nachschlagewerke.« Sie nahm ihren Laptop und einen kleineren Beutel.
»Nonna möchte, dass ihr euch ein Zimmer teilt. Sie sagt, ich rede im Schlaf.«
»Nicht nur das.« Sofie lachte. »Erinnerst du dich daran, wie wir dich auf dem Flur gefunden haben, als du angeblich im Auftrag des Herrn unterwegs warst?«
»Wie soll ich mich daran erinnern? Ich habe geschlafen.«
»Nonna hat uns erzählt, wenn wir dich anfassen, würden die Engel dich forttragen. Mama hat gejammert und Pop hat gebrüllt: ‚Was’n mit dem los?‘«
»Das fragt er sich immer noch.« Er brachte sie in das einstöckige Gebäude hinter dem Haupthaus. Es roch nach vergangenen Zeiten und Geheimnissen, nach neuem Holz und altem Stein, nach Hoffnungen und Ängsten.
»Ist dies das Kutscherhaus, das du wieder aufgebaut hast?«
»Rese hat die Inneneinrichtung gemacht.«
»Wo ist sie eigentlich?«
»Bei der Arbeit.«
»Ich dachte … Führt ihr nicht zusammen die Pension?«
»Sie renoviert wieder. Die Pension hat sie dichtgemacht, bevor Nonna und ich herkamen.«
»Oh.«
Er trug ihre Taschen ins Schlafzimmer, wo Nonna in einem großen Bett aus Walnusswurzelholz schlief. Sie schlichen auf Zehenspitzen, aber wenn sie Nonna weckten, würde die Störung ihr
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