Das elfte Gebot
plötzlich ernüchtert, er runzelte die Stirn. „Wird keinen Zweck haben. Dieser große Priester in ihrem Labor und ich selbst haben es beide schon versucht. Sie war nicht mehr dort, und ihr Zimmer wurde an einen Mann vermietet. Doktor, eigentlich geht es mich ja nichts an – aber hatten Sie und die Lady einen Krach?“
„So könnte man es nennen“, gab Boyd zu. Wenn Ben bereits ergebnislos geforscht hatte …
Harry grunzte unglücklich. „Ja, dachte ich mir schon. Sie benahm sich so seltsam, wie meine Schwester, als sie Krach mit ihrem Mann hatte. War schon komisch, als ich sie das letzte Mal sah. So wie sie aussah – dachte schon, sie hätte gehört, Ihnen wäre etwas Schlimmes zugestoßen, aber sie wollte nicht antworten. Sie rannte einfach in ihr Zimmer und kurz darauf wieder heraus. Schätze, da hat sie gekündigt. Und immerzu murmelte sie mit sich selbst. ‚Verdammt, verdammt, zum Teufel mit ihnen’, so klang es. Sie wissen selbst, sie geriet nicht so leicht aus der Fassung. Ich ließ sie nicht gerne gehen.“
„Wo?“ fragte Boyd. „Dort, wo Sie sie zuerst hingebracht haben?“
Harry schüttelte den Kopf. „Nee. Nicht in die Nähe der Wohnung ihres Bruders. Das war in einer alten Fabriksektion, jene Sektion, die sie Diakonissenwinkel nennen. Ich wartete auf sie, nachdem sie gegangen war. Aber dann bekam ich eine Fahrt, Doktor. Ich hätte ihn abgewimmelt, aber es war ein Priester, und die Gesetze sind in dieser Beziehung streng. Daher mußte ich sie verlassen. Wenn ihr irgend etwas zugestoßen ist …“
„Sie hatte Freunde dort“, versuchte Boyd ihn zu beruhigen. Ein Versuch, seine Schuld mit Harry zu teilen, würde nichts Gutes einbringen. Und in gewisser Weise hatte er die Wahrheit gesagt; der Diakonissenwinkel enthielt unter anderem jene Halle, in der das Evangelistentreffen stattgefunden hatte.
Harry wirkte erleichtert. „Schätze, dann ist es in Ordnung. Vielleicht erwartet Sie schon ein Brief von ihr, he?“
Boyd bemühte sich, daran zu glauben. Einen Augenblick, kurz nachdem er den Hausgang betreten hatte, glaubte er auch tatsächlich daran. Doch der Brief war an einen anderen Bewohner adressiert. Er verfluchte sich erneut und ging auf sein Zimmer.
Die Tür stand einen Spalt weit offen. Als Boyd sie ganz aufstieß, erhob sich ein Mann langsam von einem Stuhl.
Er war nicht größer als einen Meter siebzig und in jenen grauen Stoff gekleidet, der von Laienbrüdern getragen wurde, die einigermaßen wohlhabend waren, sein Haar und seine Haut waren leicht getönt worden. Doch diese Verkleidung war sinnlos bei einem Mann mit Boyds Hintergrundwissen. Der Fremde war ganz offensichtlich ein Marsianer!
14
„Guten Abend, Mr. Jensen“, sagte der Mann ohne den geringsten Respekt vor dem Titel. „Ich bin Smith, Auswärtiges Amt. Ich habe Sie erwartet.“
Boyd schob sich an ihm vorbei zu seinem Bett, das er als Couch verwendete, und ließ sich darauf fallen. „Wie haben Sie mich gefunden? Und warum?“
Smith, oder wie auch immer sein wirklicher Name lauten mochte, setzte sich wieder in den Stuhl und lächelte dünn. „Sie sind nicht schwer zu finden, angesichts der Nummer, die im Radio bekanntgegeben wurde. Ich habe ein Veloziped gemietet. Der Fahrer hat Sie mittels der Zentralen Aufzeichnung gefunden. Zudem sind wir nicht vollkommen ignorant gegenüber den irdischen Gebräuchen. Und was das Warum betrifft – auch dafür können Sie die Radiosendung verantwortlich machen.“
„Sie sind in diesen paar Stunden vom Mars hierhergekommen? Das kann ich kaum glauben.“ Selbst bei enger Disposition benötigte man mindestens zwei Tage für die Reise.
„Oh, nicht vom Mars. Wir haben einen Wachposten in der alten Raumstation. Ohne unsere Korrekturmanöver wäre sie schon vor Jahren abgestürzt. Ich bin in einer kleinen Kapsel hergekommen. Niemand überwacht mehr den Luftraum.“ Seine harten Augen waren auf Boyd fixiert. „Was war die Bedeutung dieser ungewöhnlichen Ansprache heute morgen?“
„Wenn Sie so vertraut sind mit den Gebräuchen der Erde, dann finden Sie es doch selbst heraus“, schlug Boyd vor. Mit einmal wußte Boyd, warum der Mann zu ihm gekommen war. Smith konnte unerkannt bleiben – solange er der Aufmerksamkeit entging –, doch er konnte unmöglich Nachforschungen anstellen, ohne seine Fremdartigkeit zu enthüllen. Der einzige Mann, bei dem er sicher nachfragen konnte, war ein Ex-Marsianer.
Smith schien weniger selbstzufrieden, als das für einen
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