Das elfte Gebot
Tausend Milliarden glückliche Menschen) und Thomas M. Disch (334 / Angouleme), in denen in eindrucksvoller Weise das Thema aufgegriffen wurde. Vor allem John Brunner kommt hierbei das Verdienst zu, die Überbevölkerung nicht als isoliertes Phänomen, sondern als Teil einer insgesamt hoffnungslosen gegenutopischen Vision eingebracht zu haben.
Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang J. G. Ballards eindringliche Story „Billenium“ („Der rationierte Raum“) bleiben, wo ein Teilaspekt der Überbevölkerung – die buchstäblich aufgefaßte Platznot – intensiv ausgemalt wird.
Lester del Reys Roman The Eleventh Commandment (Das elfte Gebot) gehört ohne Zweifel in die Reihe der wichtigsten Werke zum Thema Überbevölkerung. Der Autor versteht sich darauf, dem Leser beklemmend deutlich zu machen, wie es in einer solchen Welt zugehen würde. Eine Welt des Elends, der Not, der Unmenschlichkeit, der Kriminalität wird vor dem Leser ausgebreitet. Eine Welt, die – Rückgriff auf den Feudalismus – von der Kirche und ihren Würdenträgern diktatorisch beherrscht wird. Nach dem Dogma dieser herrschenden Religion ist Fruchtbarkeit das höchste Gebot. Wer dieses Dogma angreift oder gar Empfängnisverhütungsmittel benutzt oder in Umlauf bringt, wird verhaftet und gefoltert. Dieses undemokratische und menschenverachtende System, das den Protagonisten des Romans bald in die Zange nimmt, teilt sich dem Leser so unmittelbar mit, daß er es hassen lernt. Zielstrebig, so scheint es, arbeitet del Rey auf einen Schluß hin, in dem mit diesem totalitären System und der aller Vernunft spottenden kaninchenhaften Vermehrung Schluß gemacht wird.
Aber es kommt anders. Der Protagonist muß erkennen, daß die Eklektische Kirche recht hat, daß Schwarz Weiß ist, daß er im Irrtum war. Die Menschen, so heißt es, müssen sich vermehren und nochmals vermehren, damit die radioaktiv verseuchten Gene ausgeschieden werden, damit sich die gesunden Erbanlagen letztlich wieder durchsetzen können. Eine in meinen Augen enttäuschende Lösung, die Menschen mit einer Hefekultur gleichsetzt.
Ein unglücklicher Schluß, der meines Erachtens vom Autor kaum in seiner ganzen Tragweite überblickt wurde. Wenn er am Ende der Eklektischen Kirche recht gibt, dann unterstützt er auch die aggressiven Kriegspläne des Blinden Stephan, dann unterstützt er die Unterdrückung der Frau, ihre Degradierung zu einer Gebärmaschine, unterstützt selbst die Folterung von unschuldigen Menschen. Ich glaube nicht, daß del Rey dies alles billigen wollte, denn zu eindringlich schlägt er sich zuvor auf die Seite der Leidenden, der Unterdrückten. Und deshalb war ich trotzdem der Meinung, daß dem deutschen Leser dieser Roman nicht vorenthalten bleiben sollte.
Lester del Rey wurde unter dem phantastischen Namen Ramon Felipe San Juan Mario Silvio Enrico Smith Hearthcourt-Brace Sierra y Alvarez del Rey y de los Uerdes 1915 geboren und schrieb außer unter dem Kürzel del Rey auch unter Pseudonymen wie Philip St. John, Erik van Lhin u. a. Namen. Zu seinem Werk gehören etliche recht gute Jugendbücher und der geradezu prophetische Kurzroman Nerves (Atomalarm), in dem er schon 1942 einen Reaktorunfall schilderte (übrigens leidet auch dieser Roman unter einem unbefriedigenden Schluß). Wichtige Titel sind außer dem vorliegenden Werk ferner die Kurzgeschichtensammlung And Some Were Humans, der Psi-Roman Pstalemate (Psi-Patt) und Preferred Risk, ein Werk, das in Gemeinschaftsarbeit mit Frederik Pohl entstand und unter dem Titel Der Wohlfahrtskonzern in dieser Reihe erscheinen wird. (Ursprünglich erschien Preferred Risk unter dem Pseudonym Edson McCann.)
In den letzten Jahren ist der Autor del Rey weitgehend hinter den Lektor del Rey zurückgetreten. Er war mehrere Jahre lang Redakteur von Galaxy und wechselte später zu dem Taschenbuchverlag Ballantine Books. Die SF-Reihe des Verlags wurde in Del Rey Books umgetauft und erscheint bis heute erfolgreich unter der Ägide von ihm und seiner Frau Judy-Lynn.
Hans Joachim Alpers
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