Das elfte Gebot
bereit, das Zimmer zu übernehmen, bevor jemand anders das tut. Wieviel?“
„Sagen wir – drei Monatsmieten?“ fragte sie. „Damit würden Sie mir einen großen Gefallen tun. Wissen Sie, ich habe wundervolle Nachrichten. Ich war guter Hoffnung, als mein Mann starb, wenn wir es auch beide noch nicht wußten. Ich werde also noch ein Kind bekommen. Aber ich werde nicht mehr arbeiten können. Ich habe meinem Onkel in Albany geschrieben, und er wird uns alle bei sich aufnehmen; wir müssen nur die Überfahrt selbst bezahlen.“
Das war mehr Geld, als er bisher verdient hatte, doch noch hatte er Rücklagen, und nun konnte er sich auch einige Extravaganzen leisten. Er füllte ihr eine Bankanweisung aus, nachdem sie ihm versichert hatte, sie könne das Geld abheben.
„Sie sind ein Engel, Doktor“, sagte sie ihm. „Ich werde das Zimmer so sauber zurücklassen, daß Sie es nicht glauben werden.“
Er ging zu seinem Buch zurück, doch es interessierte ihn kaum mehr. Zum Teufel mit dem elften Gebot und den Männern, die es den Gehirnen einer ganzen Hemisphäre eingebleut hatten. Wie konnte denn eine Frau, die vor kurzem zur Witwe geworden war und die kaum das Existenzminimum für sich und ihre Brut aufbringen konnte, sich angesichts der Geburt eines weiteren Kindes aufführen, als wäre das ein Anlaß zur Freude?
Er sah sie nicht wieder, doch sie ließ das Zimmer tatsächlich so sauber zurück, wie sie es versprochen hatte. Er fand, die Verdopplung seines Lebensraumes hatte das Gefühl, ein Zuhause zu haben, noch verstärkt. Pete machte ihm sofort Vorwürfe, dafür gezahlt zu haben, denn sobald sie ausgezogen war, hätte er sowieso das Erstmietrecht an dem Zimmer gehabt. Doch er bedauerte nicht, der Frau Geld gegeben zu haben.
Er legte sich nun auch noch einige andere Gepflogenheiten zu, die seine Lebenshaltungskosten in die Höhe trieben, doch alles bewegte sich noch immer in dem Rahmen, den er sich leisten konnte. Wie er herausfand, lag Ellens Block nicht allzuweit von seinem eigenen entfernt, und er arrangierte sich mit Harry, der sie von nun an beide regelmäßig von und zur Arbeit fuhr. Bei der wöchentlichen Rate, die Harry verlangte, schien es das mehr als wert zu sein, und Harry freute sich über diese regelmäßigen Einkünfte. Seine Schwester hatte sich von ihrem Ehemann getrennt und war wieder bei ihm.
Harry selbst bezahlte direkt und indirekt für das Gebot, dem die Priester selbst nicht folgten. Direkt war es die Bürde, Geld für Nahrung zu verdienen; indirekt mußte Harry eine Rikscha ziehen, obwohl sein Charakter und seine Intelligenz zu Höherem hätten führen müssen. Harry schien es nichts auszumachen, doch Boyds Ärger vermehrte sich dadurch nur noch.
Er hatte sich selbst in eine üble Stimmung gebracht, forciert durch die Tatsache, daß Ellen ausgegangen war, um ihren Halbbruder zu besuchen. Daher unternahm er einen Spaziergang, um seine Wut wieder loszuwerden. Er achtete kaum darauf, wohin ihn seine Füße trugen, schließlich sah er auf und fand sich zu seiner Überraschung hinter der Kathedrale. Die Macht der Gewohnheit war tatsächlich sehr stark. Achselzuckend wandte er sich wieder um, als Ben Muller auf ihn zukam. Abgesehen von der Verpflichtung, regelmäßig zu den Messen zu erscheinen, schien die Kirche kaum Anforderungen an ihre Priester zu stellen.
Ben schritt neben Boyd her. „Irgendein besonderes Ziel?“ fragte er. Nach Boyds verneinender Geste wandte er sich in eine der Seitenstraßen. „Dann könnten Sie eigentlich mit mir kommen, Boyd. Da ist ein lokales Spektakel, das ich gerne sehen würde. Ein Mann, der immer eine Riesenmenge mobilisiert – man nennt ihn den Blinden Stephan. Schon von ihm gehört?“
Boyd kam der Name irgendwie bekannt vor, doch er wußte nicht, wann er ihn schon einmal gehört hatte. Aber das spielte keine Rolle, im Moment war ihm alles, was seine Gedanken von dem üblichen Einerlei ablenken konnte, willkommen.
Ben erzählte ihm noch einige Einzelheiten. „Ich möchte Ihnen nichts über den Blinden Stephan erzählen“, sagte er. „Es wird genügen, wenn Sie ihn sehen. Doch einiges von dem Hintergrund ist allgemein bekannt, daher sehe ich nicht ein, warum Sie nicht auch Bescheid wissen sollten.“
Dieses Mal bekam er weitgehend eine geographische Lektion. Europa war größtenteils von Rußland wiederbevölkert worden, war aber weitgehend römisch-katholisch geworden. Die Bevölkerungszahl war hoch, das Leben hart, doch der Zuwachs reichte bei
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