Das elfte Gebot
Maryland und auch in einigen anderen Staaten ein zunehmender Katholizismus breit. Aber im großen und ganzen haben Sie recht. Die Mitte der Vereinigten Staaten und der Nordosten waren Hochburgen antikatholischer Ressentiments während des ersten Jahrhunderts oder so. Komisch. Niemand hatte eigentlich Freude an der Religion. In Europa, da war die Religion fest in den Seelen der Menschen verankert, und sie hatten sowohl am Leben als auch an der Religion Freude. Aber hier bei uns, da nahmen einige Leute ihren Glauben so ernst, daß der einzige Spaß, den sie sich in ihrem Leben gönnten, sich in der Gründung verrückter evangelistischer Bewegungen ausdrückte. Wie selbstverständlich entwickelte sich das bei ihnen zu Fanatismus.
Doch dann schlug die Woge um. Im zwanzigsten Jahrhundert begannen die Protestanten an Boden zu verlieren. Sie begannen katholische Präsidenten zu wählen. Die Katholiken setzten ihre Vorstellungen in den Stadträten und bald auch in der staatlichen Gesetzgebung durch. Die Protestanten manövrierten sich selbst in immer gemäßigtere Positionen, ihr altes Feuer erlosch, wenn man von einigen neueren evangelischen Bewegungen absieht.
Zu der Zeit, als der Bombenhagel begann, war dies ein katholisches Land. Und die Katastrophe konsolidierte nur noch, was sich bereits entwickelt hatte. Tatsächlich wurden wir zu dem katholischen Land überhaupt. Hinter dem Katholizismus stehen zwei Jahrtausende gutdurchdachter Philosophie, die verhindern, daß die Leute den Halt verlieren, und auf diese konnte man vorbehaltlos zurückgreifen. Daher haben sie gewonnen.
Doch einiges von dem Fanatismus, der Amerika regierte, griff auch auf die Katholiken über. Und dann kam Bonaforte mit seinen phantastischen Ideen und allen Verlockungen des Evangelismus daher. Und da haben wir es auch schon.“
Er sprang von dem Tisch herunter. Nach einer solchen Lektion wären die meisten Männer wohl verlegen und kleinlaut gewesen, nicht so Ben. Er ging einfach darüber hinweg.
„Kommen Sie mit zum Essen, Boyd. Sie machen sich viel zuviel ernste Gedanken über Dinge, an denen Sie doch nichts ändern können. Wenn die Evangelisten Ihnen noch immer zu schaffen machen, dann gehen Sie doch zu einem ihrer Treffen und überzeugen Sie sich selbst.“
Das wäre eine gar nicht so schlechte Idee gewesen, hätte Boyd auch nur die leiseste Ahnung gehabt, wie er mit den Evangelisten in Kontakt hätte treten können.
Doch die Arbeit ging gut vonstatten, sein Arrest zeigte keinerlei Folgen. Er hatte eine durchaus erfreuliche Position in den Laboratorien inne; zwar hatte er mit niemandem einen wirklich engen Kontakt, doch er wurde akzeptiert. Noch immer hatte er viel mit den Hefezellen zu tun, doch langsam bezweifelte er, ob man die Ergebnisse auch auf andere Zellen würde anwenden können. Doch es gab ihm die Möglichkeit, seine eigene Arbeit zu erledigen, anstatt den Experimenten anderer beiwohnen zu müssen. Und endlich, so fühlte er, begann er die dichtgepackten Informationen über die Zellen von Menschen und Säugetieren, die er in seinen Büchern studiert hatte, zu verstehen.
Eines Nachts war er gerade in seine Bücher vertieft, als Mrs. Branahan klopfte. Er hatte seit über einer Woche nichts mehr von ihr gehört, die Kinder weinten dagegen öfter und lautstark, was er immer mitbekam. Nun zögerte sie auf der Schwelle, ihre Hände zupften nervös die Falten ihres Kleides gerade. Sie schien zu glauben, die Tür zwischen ihren Zimmern sei noch immer vorhanden, vielleicht in einem unbegreiflichen, unsichtbaren Zustand.
Er fand noch einige Süßigkeiten, die er sich als kleine Zwischenmahlzeiten für seine nächtlichen Studien gekauft hatte, und verteilte sie unter den Kindern, die diese nahmen und sie ruhig und mit feierlichen Gesichtern verspeisten. Doch sie blieb noch immer linkisch unter der Türfüllung stehen. Als sie endlich sprach, tat sie dies in jenem Ton, den er schon allzuoft von armen Leuten gehört hatte, die zu jemandem in gehobener Stellung sprachen.
„Bitte um Vergebung, Doktor, doch ich frage mich schon die ganze Zeit … ich weiß, Sie haben Bedarf … ob Sie mir nicht etwas zahlen wollen, damit ich ausziehe und Ihnen beide Räume überlasse? Das würde eine hübsche, kleine Wohnung ergeben.“
„Ich möchte Sie nicht enteignen, Mrs. Branahan“, protestierte er. Doch dann sah er an ihrem Gesichtsausdruck, daß er ihr die falsche Antwort gegeben hatte. „Wenn Sie jedoch vorhaben auszuziehen, so bin ich gerne
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