Das Ende der Geduld
geartetes sozialverträgliches Verhalten an den Tag zu legen. Auch er konsumiert bereits vor dem zehnten Lebensjahr Bier, mit zwölf kommen noch LSD, kurze Zeit später Kokain, Heroin, Speed und Amphetamine hinzu: ein kindlicher Polytoxiker. Zur schulischen Entwicklung erübrigen sich sämtliche Ausführungen, zumal Chris wegen der Schwierigkeiten in den Heimen immer wieder wegläuft, pausenlos stiehlt, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, und die restliche Zeit mit Inhaftierungen und erfolglosen Therapieversuchen verbringt. Gewaltstraftaten gehörten allerdings nicht zu seinem Repertoire.
Dennoch sollte sich das Treffen der Lehmann-Brüder mit Chris in Sandys staatlicherseits finanzierter Wohnung im Sommer als fatal erweisen. Alle fünf verstehen sich auf Anhieb prima, man trifft sich regelmäßig. Natürlich wird ständig und kräftig getrunken, aber immerhin hat man ein Dach über dem Kopf. Die jungen Leute kennen die Obdachlosigkeit. Chris braucht aufgrund seiner Drogenproblematik das meiste Geld. Er bricht immer wieder in kleine Geschäfte ein, hebelt Autos auf und entwendet allerlei Dinge, die er „verticken" will. Er wird mehrmals von der Polizei erwischt, aber nicht inhaftiert. Irgendwann reicht es Polizei und Justiz und er kommt vor den Richter, der einen Haftbefehl erlässt, Chris aber vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Chris soll sich stattdessen zweimal wöchentlich beim zuständigen Polizeiabschnitt melden. In der Rückschau war das keine gute Idee.
Noch bevor es wegen der Einbruchserie zu einer Gerichtsverhandlung kommt, beschließen Paul, Ingo und Chris, einen Trödelladen in Neukölln auszurauben. Der Betreiber des Ladens kennt die späteren Täter teilweise und hat Verständnis für ihre Lebenslage. Die Geschwister Lehmann und Sandy kommen öfter vorbei, Paul und Ingo haben dort bereits kleinere Aushilfstätigkeiten geleistet. Die jungen Männer hören gerüchteweise, dass der Inhaber des Geschäftes manchmal einige Hundert Euro bei sich führe, wenn er seinen Laden öffne. Sandy und Felix werden in den Plan eingeweiht, der zunächst vorsieht, maskiert in die Räumlichkeiten einzudringen und den Betreiber unter Vorhalten eines Knüppels zur Herausgabe des Geldes zu bringen. Später wird das Vorhaben dahin gehend geändert, den Mann nach Ladenschluss außerhalb des Geschäftes zu überfallen, damit die eigenen Fluchtmöglichkeiten variabler sind. Der erste Überfallversuch scheitert, weil sich keine günstige Gelegenheit ergibt. Am nächsten Tag unternimmt man den zweiten
Anlauf. Nunmehr führen Ingo und Chris jeweils ein Messer bei sich, wovon auch Paul weiß. Das von Ingo ist ein Küchenmesser mit 17 cm Klingenlänge, das von Chris ein Taschenmesser mit 5 cm Klingenlänge. Zwischen den drei Tatbeteiligten wird auch darüber diskutiert, dass der Ladenbesitzer notfalls abgestochen werden könne, falls er sein Geld nicht herausgebe. In den frühen Morgenstunden eines Septembertages legen sich Paul, Ingo und Chris in der Nähe des Tatobjektes auf die Lauer. Als der Arglose mit insgesamt 1400 Euro dort eintrifft und im Begriff ist, sein Geschäft aufzuschließen, ziehen die Täter ihre Sturmhauben über das Gesicht und nähern sich dem Opfer von hinten. Ohne ein Wort zu sagen, rammt entweder Paul oder Ingo dem wehrlosen Mann das Küchenmesser kurz über dem Becken in die rechte Flanke. Anschließend wird dem Opfer, das sich umdreht, als es bemerkt, dass ihm das Blut am Gesäß hinunterläuft, mit einer ausholenden Bewegung an der linken Stirnpartie entlanggeschnitten. Beide Verletzungen bluten stark und der Verletzte beginnt, heftig um sich zu schlagen. Dennoch sticht ihm Paul oder Ingo mit dem Messer in die rechte Nierengegend. Als das Opfer nunmehr am Boden liegt, sticht auch Chris mit seinem Messer zu und trifft das linke Schulterblatt. Das Opfer schreit, schlägt weiter verzweifelt um sich und klammert sich vehement an seine Tasche mit dem Bargeld. Erst als Chris ihm gegen den Arm tritt, gelingt es ihm, dem Opfer die Tasche zu entreißen. Alle drei Täter flüchten sodann. Unterwegs unterschlägt Chris von den 1400 Euro zunächst einmal 1000 Euro, der Rest wird später in der Wohnung von Sandy, die wie Felix dort in Kenntnis der geplanten Tat wartete, aufgeteilt. Sandy erhält nichts aus der Beute, Felix bekommt für sein Schweigen 50 Euro. Was die Täter nicht wussten: Sandy hatte den Tatplan zuvor einer Bekannten verraten. Diese erfuhr kurze Zeit später von dem Überfall und ging
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