Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
selbst mit Staub bedeckt noch stolz und anmutig wirkte. Er sah Gilians erhabene Gestalt, dessen Bank aus rotem Marmor steinerne Falkenskulpturen zierten. Unweit davon erblickte er Fuginors erstarrte Hülle inmitten eines zu Stein gewordenen Flammenmeeres.
Der Wanderer kannte sie alle, doch er verschwendete seine Zeit nicht mit der sinnlosen Trauer um etwas, das der Vergangenheit angehörte. Zielstrebig schritt er auf die größte der Bänke zu, auf der sich Callugar, der mächtige Schicksalslenker, Seite an Seite mit Tyra, seinem Weib, zur Ruhe begeben hatte. Hier sank er auf die Knie und neigte demütig das Haupt, ganz so, wie es sich für einen treuen Diener ziemte.
»Mächtiger Weltenlenker, ich bin zurückgekehrt, um dir Bericht zu erstatten von dem, was sich in der Sphäre, die die Sterblichen Nymath nennen, zugetragen hat.« Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, und doch hallte sie wie ein Frevel durch das allgegenwärtige Schweigen. »Die Nebel, welche die letzten Freigläubigen vor dem Zugriff des Einen bewahrten, wurden neu gewoben. Das elbische Blut hat triumphiert. Doch Nymath stehen große Veränderungen bevor. Die Knoten der Macht werden neu geknüpft, und nicht einmal das Schicksal vermag zu sagen, welches Volk dem Untergang zu trotzen bestimmt ist. Die Freigläubigen sind …«
»So, das Schicksal vermag es also nicht zu sagen!« Vom Eingang der Halle her drang ein höhnisches Gelächter zu ihm herüber.
Erschrocken fuhr der Wanderer herum, und sein Gewand bauschte sich, als er sich erhob.
»Du!«, zischte er mit gedämpfter Stimme, und die ungeheure Wut, die in diesem einen Wort lag, ließ die Luft erbeben.
»Überrascht, Alter? Wer sonst sollte dich hier erwarten?« Eine schemenhafte Gestalt löste sich von dem Torflügel und betrat lockeren Schrittes die Halle.
Der Wanderer schwieg. Mit finsterer Miene beobachtete er den jungen Mann, der langsam und lautlos auf ihn zuschritt. Er war von betörender Schönheit; schwarz glänzendes, lockiges Haar umrahmte sein fein geschnittenes Gesicht, während kunstvoll gearbeitete und reich bestickte Gewänder den athletischen Körper umhüllten. Seine Haltung kündete von Macht und Stolz, doch der Blick aus nachtschwarzen Augen zeugte von dem Hochmut, der sich dahinter verbarg.
»Wer sonst?«, wiederholte der Jüngling herausfordernd, als bereite ihm der Gedanke an jene, die gegangen waren, eine hämische Freude. »Emo vielleicht?« Er lachte spöttisch und blies der wilden Jägerin mit einem schamlosen Grinsen den Staub von den nackten Brüsten. »Wohl kaum. Wo immer sie jetzt sein mag, es wird ihr nicht an Liebhabern mangeln. Warum also sollte sie zurückkommen?« Die fließenden Gewänder wallten wie Nebelschleier, als er sich mit einer geschmeidigen Bewegung umdrehte und sich einer der anderen Gestalten zuwandte. »Oder hier, unser geliebter Asnar.« Ein teuflisches Grinsen huschte über sein Gesicht. »War er nicht der Erste, der sich feige zur Ruhe legte, als sich immer mehr Sterbliche von ihm abwandten? Der arme, alte vergessene Gott? Dabei hätte er doch wissen müssen, dass man sie nicht nur mit hehren Worten an sich …«
»Schweig!«, herrschte der Wanderer ihn an. »Du solltest nicht spöttische Rede führen über jenen, dessen Samen du dein Leben verdankst.«
Doch der Jüngling warf nur höhnisch lachend den Kopf in den Nacken, breitete die Arme aus und vollführte eine Drehung, die deutlich machte, dass er weder den Zorn der schlafenden Götter noch den seines Vaters fürchtete. »Warum nicht?«, triumphierte er voll dunkler Freude. »Sie sind fort. Alle! Nur ich bin geblieben, und so gibt es niemanden, dessen Willen ich mich zu beugen hätte.«
»Du hast sie … nein, du hast uns alle betrogen. Das schändliche Spiel war von Anfang an geplant.« Nur mit Mühe konnte der Wanderer seinen Zorn bändigen. »Im Angesicht Callugars schworst auch du, diese Gestade zu verlassen. Aber du hattest niemals vor, dich an den Eid zu halten. Du wolltest die Macht für dich allein.«
»Sagen wir einfach, ich konnte nicht schlafen.« Das hämische Grinsen des Jünglings wurde eine Spur breiter. »Und als ich sah, wie sehr es die Sterblichen nach einem starken Gott verlangte, durfte ich ihnen ihren Wunsch doch nicht versagen.«
»Du gründest deine Herrschaft auf Blut!«, fuhr ihn der Wanderer an. »Dein hehres Antlitz ist nicht mehr als eine trügerische Maske, hinter der du dein abscheuliches Wesen verbirgst. Asnar würde vor Scham sein
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