Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
an. Er glaubte zu spüren, dass sie beobachtet wurden. Es war nur ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte und für das es keine Beweise gab. Eine innere Stimme, die ihm zuflüsterte: Ihr seid nicht allein!
Der Heermeister hatte gelernt, solche Zeichen ernst zu nehmen. Zu oft schon hatten ihn in den langen Jahren des Kampfes ähnliche Empfindungen beschlichen – leise Vorahnungen von Hinterhalten und tödlichen Fallen, die immer dann zuschnappten, wenn es für eine Umkehr längst zu spät war. Viele gute Männer hatte er verloren, ehe er bereit war, auf diese warnende Stimme zu hören, der er seither mehr als nur einmal sein Leben verdankte.
Bayard war erfahren genug, um zu wissen, dass eine friedliche Landschaft oder das Fehlen einer Staubwolke nicht zugleich auch Sicherheit bedeutete. Er bedauerte es einmal mehr, dass Keelins Falke, der die Botschaft über den Erfolg der Nebelsängerin überbringen sollte, noch immer nicht zurückgekehrt war.
»Horus wird bald zurück sein!«, hörte er Keelin in diesem Augenblick sagen, als hätte er seine Gedanken gelesen. Der junge Falkner hatte Ajana zu sich aufs Pferd genommen und war dadurch zurückgefallen. Nun kam er herangeritten und deutete mit einem Kopfnicken gen Süden. »Er sandte mir ein Bild aus den Bergen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er uns erreicht.« Seine Augen streiften den Heermeister und verharrten dann auf Ajana, die in seinen Armen eingeschlafen war. »Wir sollten hier rasten und auf ihn warten«, schlug er mit einem besorgten Blick auf die von flockigem Schweiß bedeckten Leiber der Pferde vor. Die Nüstern der Tiere waren unnatürlich gebläht, und ihre Flanken zitterten. »Nicht nur Ajana, auch die Tiere sind erschöpft.«
»Thorns heilige Rosse, das sehe ich auch!« Bayard wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und spie den Sand auf den Boden. »Ich wäre wahrlich ein schändlicher Kataure, wenn ich mich nicht um das Wohlergehen der Pferde scherte. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen …« Wieder wanderte sein Blick prüfend zum Himmel.
Wir sind hier nicht sicher!
Obwohl Bayard seine Sorgen hinter der ruppigen Ausdrucksweise zu verbergen suchte, gelang es ihm nur schwer, die gewaltige Anspannung zu überspielen. Keelin entging das keineswegs.
»Ihr seid beunruhigt«, sagte er geradeheraus.
Doch Bayard ging nicht weiter darauf ein. Schweigend ließ er den Blick über den Horizont schweifen und fragte dann: »Horus ist schon in den Bergen?«
»Als ich die Bilder von ihm empfing, flog er gerade durch die Kardalin-Schlucht.« Keelin nickte. »Er hat die Schneegrenze bereits hinter sich gelassen. Wenn wir hier rasten …«
»Rasten?« Bayard machte keinen Hehl daraus, wie wenig ihm der Gedanke an eine Unterbrechung behagte. »Asnar ist mein Zeuge, dass ich dieses verfluchte Land lieber heute als morgen verlassen würde«, brummte er missmutig und so laut vor sich hin, dass Keelin es hören musste. »Der Sandsturm hat uns schon viel zu lange aufgehalten. Wenn wir weiter so langsam vorankommen, verstreicht noch ein Viertelmond, ehe wir die Schlucht erreichen.«
»Sie hat in den letzten Nächten kaum geschlafen«, wandte Keelin mit einem Blick auf die schlafende Ajana ein. Dann hob er den Kopf, sah Bayard fest in die Augen und fügte hinzu: »Sie ist keine Elbin, vergesst das nicht.«
»Wir alle müssen Opfer bringen«, knurrte Bayard. Der respektlose Tonfall des Falkners missfiel ihm. Jeder andere Krieger hätte für eine solche Dreistigkeit auf der Stelle eine angemessene Strafe erhalten. Bei Keelin hingegen war es etwas anderes. Die vergangenen Ereignisse und gemeinsam ausgestandenen Gefahren hatten die beiden einander näher gebracht; zwischen ihm als dem Heermeister und dem jungen Kundschafter war eine Verbindung gewachsen, die unter gewöhnlichen Umständen undenkbar gewesen wäre.
Auch spürte Bayard die aufrichtige Sorge, die in Keelins Worten mitschwang. So verzichtete er darauf, ihn zu maßregeln, und entgegnete nur unwirsch: »Wir sind noch mitten im Feindesland. Eine Rast kann uns leicht den Kopf kosten.«
»Den Weg ohne Unterbrechung fortzusetzen, könnte uns die Pferde kosten.« Nur zögernd kamen Keelin die Worte über die Lippen. Er schien zu spüren, dass er mit seinem Einwand zu weit ging, doch das Anliegen war ihm zu wichtig, als dass er sich dem Willen des Heermeisters widerspruchslos untergeordnet hätte. Fast trotzig fügte er hinzu: »Entscheidet Ihr für Euch. Ich werde nicht
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