Das feuchte Nachtgespenst
bewusst war. Auch in diesem Fall erwarteten ihn jedoch unangenehme Zeiten, denn er hatte beileibe nicht vor, sein lustvolles Leben auf Schloss Fontainevert gegen ein Leben im Feld mit Blut, Tod und Schmerz einzutauschen.
»Aber Papa, schau doch nicht so düster drein!« Seine Tochter Yseult blickte ihn forschend an und deutete dann auf die vorbeiziehende Landschaft außerhalb der Kutsche. »Schau nur. Die Blumen und Bäume blühen, die Felder stehen in voller Pracht und Sahnetupfer schweben am blauen Himmel, von dem strahlend das Auge Apolls leuchtet.«
Maximilien blickte hinaus und verzog keine Miene. Es war nicht seine Idee gewesen, seine Tochter mitzunehmen und im Grunde war er froh gewesen, dass Yseult bei ihrer Mutter in Fontainevert bleiben sollte. Als Yseult jedoch erfahren hatte, wohin es ihren Vater zog, hatte sie ihm unermüdlich in den Ohren gelegen, sie mitzunehmen. Natürlich war es für eine junge Dame wie sie ein aufregendes Abenteuer, den großen Hof des Herzogs Honoré de Ravfleur zu besuchen. Er hatte schließlich ihrem Drängen nachgegeben, denn obwohl sie ihn erst vor kurzem aufs Äußerste verärgert hatte, als er sie erwischt hatte, wie sie mit dem Sohn seines Erzfeindes anzubandeln versuchte, konnte er ihr keinen Wunsch abschlagen. Erst recht nicht, wenn ihre kirschroten Lippen sich so schmollend und süß verzogen wie in jener Zeit, als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Vielleicht war es auch eine gute Gelegenheit, seine Tochter in Bekanntschaft mit der weitreichenden Verwandtschaft des Herzogs zu bringen, um eine politisch und wirtschaftlich prächtige Liaison für ihn zu initiieren. Er lächelte.
Seine Tochter vermeinte, mit ihrem Appell etwas bei ihrem Vater bewirkt zu haben und lächelte ebenso. Sie waren früh am Morgen aufgebrochen und machten zu Mittag Station beim Anwesen eines befreundeten, niederen Adligen. Am späten Nachmittag endlich erreichten sie die Ländereien des Herzogs, Bliardouai, und das dortige, eindrucksvolle Schloss. Um es zu erreichen, musste die Kutsche über eine künstliche Straße fahren, die mitten auf einen See führte, denn Schloss Bliardouai war auf einer künstlichen Insel auf dem See angelegt worden. Wie eine Spinne in ihrem Netz verbanden sie verschiedene Fäden mit dem Festland. Die notwendigen Anlagen rund um ein Barockschloss, von den Reitställen über die Gärten bis hin zu wirtschaftlichen Dienstgebäuden und dem Meierhof, der das Schloss autark machte, befanden sich auf dem Festland rund um das Schloss herum. Das Schloss selbst war, wenn wie am heutigen Tag die Sonne vom Himmel schien, bereits von weitem zu erkennen, denn die verputzten, zierlichen Mauern strahlten blendend hell. Wo selbst das Schloss des Königs wie eine Kaserne auszusehen pflegte und es angesichts der zahlreichen Kriegszüge oftmals auch war, wie die Leute munkelten, so war Schloss Bliardouai das genaue Gegenteil. Neben den vier üblichen, großen Rundtürmen an den vier Ecken des Schlosses stachen unzählige kleine Türmchen in den Zwischenräumen in den blauen Himmel. Diese Verspieltheit wurde durch die Dächer der Türmchen noch gesteigert. Denn es handelte sich nicht um schmucklose, spitz zulaufende Abschlüsse zum Schutz vor Regen, sondern um runde Kuppeln, die das Schloss mit einem Hauch des Weiblichen versahen. Dieser Eindruck setzte sich überall fort, von den endlosen, kleinen Verzierungen an den Aussenmauern über beigefarbene Arkaden bis hin zu einer Vielzahl Brüstungen von neckischer Verspieltheit.
Das herzogliche Schloss war eine unvergleichliche Machtdemonstration, gebaut, um den anderen Adligen die Schamesröte in das Gesicht zu treiben und genau das geschah bei Maximilien de St. Courchose, als er in der Kutsche die schmale Straße auf dem Wasser überquerte. Seine Tochter Yseult dachte weniger machtorientiert und konnte nicht innehalten, andauernd mit dem Finger auf ein weiteres Detail zu zeigen, das ihrer Meinung nach die Aufmerksamkeit ihres Vaters verlangte und verdiente.
Diener nahmen sie in Empfang, als die weiße, jedoch mit Staub beschmutzte Kutsche auf den Schlosshof rollte. Maximiliens Laune wurde nicht besser, als er feststellte, dass weder der Herzog selbst, noch seine Gemahlin, geschweige denn einer seiner höheren Lakaien sie empfing. Dieser Umstand verstärkte das unangenehme Gefühl in der Magengrube einmal mehr ins Unerträgliche, dass ihm keine angenehme Begegnung bevorstand. Immerhin begrüßte sie der oberste Kammerdiener des Herzogs,
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