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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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    Am nächsten Tag mußte sich Don Juan wohl um seine Geschäfte kümmern, denn ich sah ihn erst gegen Mittag. In der Zwischenzeit waren drei seiner Lehrlinge in der Stadt eingetroffen - Pablito, Nestor und la Gorda. Sie gingen Werkzeuge und Material für Pablitos Schreinerei besorgen. Ich schloß mich ihnen an und half mit, ihre Einkäufe zu vervollständigen. Dann kehrten wir alle in die Pension zurück.
    Wir vier saßen da und unterhielten uns, als Don Juan in mein Zimmer trat. Er verkündete, wir würden nach dem Essen aufbrechen, er müsse aber, bevor wir ins Restaurant gingen, mit mir persönlich etwas besprechen. Er schlug vor, wir beide sollten einen Spaziergang um den großen Platz machen, und dann sollten wir alle uns in einem Lokal treffen.
    Pablito und Nestor standen auf und meinten, sie hätten noch einiges zu erledigen, bevor sie sich mit uns treffen wollten. La Gorda schien sehr ungehalten.
    »Was habt ihr denn zu besprechen?« platzte sie heraus, erkannte aber rasch ihren Fehler und kicherte. Don Juan warf ihr einen eigenartigen Blick zu, sagte aber nichts.
    Durch sein Schweigen ermutigt, schlug la Gorda vor, wir sollten sie doch mitnehmen. Sie beteuerte, sie werde uns nicht im mindesten stören.
    »Ich bin sicher, du wirst uns nicht stören«, sagte Don Juan zu ihr, »aber ich möchte eigentlich nicht, daß du mithörst, was ich ihm zu sagen habe.«
    La Gorda war sehr sichtlich verärgert. Sie errötete, und als Don Juan und ich das Zimmer verließen, verfinsterte sich ihr ganzes Gesicht vor Eifer und Anspannung und wirkte einen Moment lang verzerrt. Ihr Mund stand offen, ihre Lippen waren spröde. La Gordas Verstimmung war mir sehr peinlich. Ich fühlte mich wirklich unbehaglich. Ich sagte nichts, aber Don Juan schien meine Empfindungen nachzufühlen.
    »Du solltest la Gorda Tag und Nacht Dank sagen«, meinte er unvermittelt. »Sie hilft dir, deinen Eigendünkel zu beseitigen. Sie ist ein kleiner Tyrann in deinem Leben, aber das hast du noch immer nicht verstanden.«
    Wir schlenderten um die Plaza, bis all meine Nervosität gewichen war. Dann setzten wir uns wieder auf seine Lieblingsbank. »Die alten Seher waren sehr glücklich dran«, fing Don Juan an, »denn sie hatten genügend Zeit, herrliche Dinge zu lernen. Laß dir sagen, sie kannten Wunder, die wir uns heute nicht einmal vorstellen können.« »Wer lehrte sie all dies?« fragte ich.
    »Sie lernten das alles von selbst, durch ihr Sehen«, antwortete er. »Die meisten Dinge, die wir in unserer Schule wissen, wurden von ihnen entdeckt. Die neuen Seher korrigierten die Fehler der alten Seher, doch die Grundlage dessen, was wir wissen und was wir tun, ging in der Zeit der Tolteken verloren.« Dies erläuterte er: Eine der einfachsten und doch wichtigsten Erkenntnisse im Hinblick auf die Unterweisung, sagte er, sei das Wissen, daß der Mensch zwei Arten von Bewußtsein hat. Die alten Seher nannten es die rechte Seite und die linke Seite des Menschen.
    »Die alten Seher fanden heraus«, fuhr er fort, »daß sie ihr Wissen am besten vermitteln konnten, wenn sie ihre Lehrlinge auf die linke Seite überwechseln ließen, in einen Zustand gesteigerter Bewußtheit. Dort findet das wahre Lernen statt. Kleine Kinder wurden bereits als Lehrlinge zu den alten Sehern geschickt«, fuhr Don Juan fort, »so daß sie gar keine andere Lebensweise kennenlernten. Diese Kinder, wenn sie das entsprechende Alter erreicht hatten, nahmen wiederum Kinder als Lehrlinge auf. Stell dir nur vor, welche Dinge sie bei ihrem Überwechseln auf die linke und auf die rechte Seite entdecken mochten - nach Jahrhunderten solcher Konzentration.«
    Ich warf ein, wie beunruhigend dieses Überwechseln für mich wäre. Er meinte dazu, daß meine Erfahrung der seinen ähnlich sei. Sein Wohltäter, der Nagual Julian, habe bei ihm eine tiefe Spaltung hervorgerufen, indem er ihn von einer Art der Bewußtheit zur anderen überwechseln ließ. Er sagte, die Klarheit und Freiheit, die er im Zustand gesteigerter Bewußtheit erlebe, stünden in völligem Gegensatz zu den Rationalisierungen, den Abwehrmanövern, der Wut und der Furcht seines normalen Bewußtseinszustandes.
    Die alten Seher verfolgten eine besondere Absicht, wenn sie eine solche Polarität hervorriefen; dadurch zwangen sie ihre Lehrlinge, die Konzentration zu erreichen, die sie brauchten, um die Techniken der Zauberei zu erlernen. Die neuen Seher aber, so sagte er, bedienen sich ihrer, um ihren Lehrlingen die

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