Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
ungestraft bleibt?“
Dougan Hall lacht wieder, aber es klingt nicht nach seinem ersten Lachen über meine Komplimente, es hallt verbittert und beleidigt in meinen Ohren. Plötzlich springt er auf, klatscht ein weiteres Mal in seine Hände, dass ich erschrecke, jetzt auch körperlich zusammen fahre.
„Bitte gehen Sie“, sagt er, „ich erhoffte ein tieferes Gespräch über soziale Interaktion und ihre Folgen, nicht solche schweren und geradezu lächerlichen Vorwürfe. Mag sein, dass Sie Koinzidenzen entdeckten, die mit meinen Auftritten zusammen hängen, aber nur ein närrischer Experte käme auf jene Schlussfolgerungen. Guten Abend.“
Nach diesen Worten dreht er sich von mir, schreitet zur Tür, und öffnet und schließt und verschwindet. Doch mit seinen Worten auf meinem Diktiergerät, das ich noch vor seinem Erscheinen einschaltete, habe ich nun einen ersten Beweis für seine Schuld – ein auffälliger Widerspruch in dem, was er sagte. Oder wie lässt sich erklären, dass er meiner Hypothese nur so lange zustimmte, bis ich sie auf seine Person anwendete? Mit diesem Geständnis zwischen den Zeilen verschwinde ich ebenfalls, hinaus in eine vom Winter noch frische Nacht. Eine erleichternde Fröhlichkeit begleitet mich, als ich einem Gedanken folge, der mir verlockend scheint: Ich töte mich.
Aber nein, was denke ich für einen Unsinn?
Drei Worte, die in ihrer grammatikalisch richtigen Reihenfolge für Erschrecken sorgen und die keinem rationalen Geist, über den ich wohl verfüge, je unterkommen würden. Doch in diesem kurzen Satz klingt noch anderes mit, das ich nur mit einem Ausdruck beschreiben kann, der mir als Wissenschaftler so viel bedeutet: Antworten. Erst durch eigene Erfahrung mag der letzte Sinn gefunden werden, eine subjektive Erkenntnis für ein objektives, soziales Phänomen, den Freitod. Sollte ich diesen letzten Schritt tatsächlich wagen, was bliebe mir dann von der Erkenntnis? Doch nur das Nichts.
Wissenschaftliche Erkenntnis bleibt nicht das Einzige, wonach ich strebe, wenn ich vor mich hin denke, weiter fröhlich, dass ich mich töten werde. In dieser Handlung steckt Freiheit, ein Ausbrechen aus der Gesellschaft, deren Devianz täglich vor meine Augen kommt, aus einer Welt, in der Menschen ihre letzte Möglichkeit im freiwilligen Dahinscheiden sehen, so zerbrochen sind sie. Ich würde mir das Leben aus einem Akt der Freude nehmen, ja, der Freitod ist ein Geschenk, das andere nicht begreifen, ehe sie an diesen Punkt in ihrem Leben gelangen. Womöglich gäbe es eine nicht mehr abreißende Folge von täglich Dutzenden Selbstmorden, wenn alle zu jener Epiphanie geführt werden, die mir soeben widerfuhr. Habe ich dies alles nicht meinem Vorhaben zu verdanken, heute Dougan Hall aufzusuchen?
Einen Moment bitte … Dougan Hall? … den ich des Mordes verdächtige? In welchem Labyrinth der Gedanken irre ich gerade? Freitod? Mag es sein, ja, besteht die minimale Wahrscheinlichkeit – mit seinem Klatschen und dem Lachen, dem Rapport, den Gaben auf dem Tisch, seinem plötzlichen Auftreten und Verschwinden – war dies alles inszeniert für mich? Wusste dieser abscheuliche Mensch gar, warum ich ihn heute aufsuchen würde?
Wenn ich meinen Gang verlangsame, vermag ich auch das Karussell in meinem Kopf zwar nicht anzuhalten doch zu entschleunigen – ein Karussell, in dem sich nur ein Satz dreht, drei Worte, in richtiger Folge, erleichternd, erlösend, ich töte mich. Oh, ich möchte es so sehr. Dieses leichte Flammen in mir ward stärker und stärker zum lodernden Feuer entfacht, das mich und mein Wesen zu verbrennen droht, wenn ich diesem Drang nicht nachkomme. Ich weiß, dass ich bis ans Ende meines Lebens daran denken werde, also warum sollte ich es nicht sofort tun? Mein Büro im Philosophen-Turm, der siebente Stock – es musste ein Turm sein, in dem ich arbeite … weil ich dort gleich sein werde … gleich, gleich.
Ich laufe nun die Straße entlang, keine Zeit mehr zu verlieren; die Tasche so schwer, ich werfe sie von der Schulter. Wo ich einkehre, brauche ich sie nicht mehr. Doch darin … das Diktiergerät … die Aufnahmen von Dougan Hall, sein Geständnis zwischen den Zeilen. Es ist mir gleich, ich bin der noch lebende Beweis seiner Taten.
Er ist gnädig, bringt er nicht den Tod, sondern ein neues, ein anderes Leben. Wer weiß, was danach ist? Ich kann es kaum erwarten zu erfahren und renne schneller, obgleich meine Glieder schmerzen; nun, Schmerzen, die sind gleich nicht mehr, ha! Noch
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