Das Foucaultsche Pendel
wie es Hausfrauen tun. So hatte sie sich noch nie hingesetzt: die Beine gespreizt, so daß der Rock sich über den Knien spannte. Nicht sehr anmutig, dachte ich. Aber dann sah ich in ihr Gesicht, und es schien mir zu leuchten, übergossen von einer zarten Färbung. Und ich hörte ihr — noch ohne zu wissen warum — mit Respekt zu.
»Pim«, sagte sie, »mir gefällt die Art nicht, wie du mit dieser Manuzio-Geschichte umgehst. Erst hast du Fakten gesammelt, wie andere Leute Muscheln sammeln. Jetzt scheint es, als ob du Lottozahlen ankreuzt.«
»Das ist bloß, weil ich mich mit denen mehr amüsiere.«
»Du amüsierst dich nicht. Du bist fasziniert. Das ist was anderes. Pass auf, die machen dich krank.«
»Jetzt übertreib nicht. Krank sind höchstens die selber. Man wird nicht verrückt, wenn man als Pfleger in der Klapsmühle arbeitet.«
»Das wäre erst noch zu beweisen.«
»Ich habe den Analogien immer misstraut, das weißt du. Und jetzt bin ich auf einmal mitten in einem Fest von Analogien, einem Coney Island, einem Ersten Mai in Moskau, einem Heiligen Jahr der Analogien, und dabei stelle ich fest, daß einige besser als andere sind, und frage mich, ob es dafür nicht zufällig einen Grund gibt«
»Pim«, sagte Lia, »ich hab mir deine Karteikarten angesehen. Ich bin es ja, die sie hinterher wieder ordnen muß. Was immer deine Diaboliker auch entdecken, es ist alles schon hier, schau her«, und sie klopfte sich auf den Bauch, an die Hüften, auf die Schenkel und an die Stirn. So wie sie dasaß, breitbeinig, mit gestrafftem Rock, frontal vor mir, erschien sie mir wie eine stämmige, blühende Amme — sie, die so zart und biegsam war —, denn eine ruhige Klugheit erleuchtete sie von innen mit matriarchalischer Autorität.
»Pim, es gibt keine Archetypen, es gibt nur den Körper. Das Innen ist schön, weil da drinnen im Bauch das Kind heranwächst, dein Piephahn schlüpft da fröhlich hinein, und die gute, wohlschmeckende Speise sinkt da hinunter, und darum sind schön und wichtig die Höhle, die Schlucht, der Gang, der Untergrund und sogar das Labyrinth, das genauso beschaffen ist wie unsere guten und heiligen Eingeweide, und wenn jemand was Wichtiges erfinden muß, dann lässt er's von da drinnen kommen, weil auch du von da drinnen gekommen bist am Tage deiner Geburt, und die Fruchtbarkeit ist immer in einem Loch, wo erst etwas verfault, und dann siehe da, ein kleiner Chinese, eine Dattelpalme, ein Affenbrotbaum. Aber oben ist besser als unten, weil wenn du auf dem Kopf stehst, fließt dir das Blut in den Kopf, weil die Füße stinken und die Haare weniger, weil es besser ist, auf einen Baum raufzuklettern, um Früchte zu pflücken, als unter der Erde zu liegen, um die Würmer zu mästen, weil du dir selten weh tust, wenn du dich aufrichtest (du musst schon wirklich unter dem Dach sein), und gewöhnlich tust du dir weh, wenn du irgendwo runterfällst, und deswegen ist das Oben himmlisch und das Unten teuflisch. Aber weil ja auch wahr ist, was ich zuerst über meinen Bauch gesagt habe, ist eben beides wahr, das Unten und Drinnen ist im einen Sinn schön, und im anderen Sinn ist das Oben und Draußen schön, und das hat nichts mit dem Geist des Merkur und dem universalen Widerspruch zu tun. Das Feuer hält warm, und die Kälte bringt dir eine Lungenentzündung ein, besonders wenn du ein Gelehrter vor viertausend Jahren bist, und folglich hat das Feuer geheimnisvolle Kräfte, auch weil es dir das Suppenhuhn gar macht. Aber die Kälte konserviert dir das Huhn, und wenn du das Feuer berührst, macht es dir eine böse Brandblase. Also wenn du an eine Sache denkst, die sich seit Jahrtausenden hält, wie die Weisheit, dann musst du sie auf einem Berg denken, hoch oben (was gut ist, wie wir gesehen haben), aber oben in einer Höhle (was genauso gut ist) und in der ewigen Kälte des tibetanischen Schnees (was optimal ist). Und wenn du dann wissen willst, wieso die Weisheit aus dem Orient kommt und nicht aus den Schweizer Alpen — na, ganz einfach, weil der Körper deiner Urahnen morgens früh, wenn er aufwachte und es noch dunkel war, nach Osten schaute in der Hoffnung, daß die Sonne dort wieder aufging und es nicht regnen würde, verdammter Mist.«
»Ja, Mama.«
»Ja sicher, mein Kind. Die Sonne ist gut, weil sie dem Körper guttut und keine Zicken macht, sondern brav jeden Tag wieder aufgeht, und darum ist alles gut, was wiederkehrt und nicht bloß einmal vorbeischaut und dann ade, auf Nimmerwiedersehen. Und
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