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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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verlorene Licht? In den Bränden sucht man es, oder im Unterholz, wo nach dem Brand die Flammen weiterschwelen unter den toten Wurzeln, dem Fettschlamm, dem halbverbrannten Laub. Und wo könnte sich der wahre Templer besser verbergen als in der Menge seiner Karikaturen?«

62
    Wir betrachten als druidische Gesellschaften per definitionem diejenigen Gesellschaften, die sich als druidisch in ihrem Namen oder in ihren Zielen bezeichnen und Initiationen gewähren, die sich auf das Druidentum berufen.
    M. Raoult, Les druides. Les sociétés initiatiques celtes cont poraines, Paris, Rocher, 1983, p. 18
     
    Mitternacht rückte näher, und nach Agliès Programm erwartete uns die zweite Überraschung des Abends. Wir verließen die palatinischen Gärten und machten uns erneut auf die Fahrt durch die Hügel.
    Nach einer Dreiviertelstunde ließ Agliè die beiden Wagen am Rand einer Waldung halten. Wir müssten jetzt ein Gestrüpp durchqueren, sagte er, um zu einer Lichtung zu gelangen, und es gebe dorthin weder Straßen noch Wege.
    Wir stapften auf einem leicht ansteigenden Trampelpfad durch das Unterholz. Es war nicht feucht, aber die Sohlen rutschten auf einer Schicht fauliger Blätter und glitschiger Wurzeln. Agliè knipste ab und zu eine Taschenlampe an, um gangbare Wege zu finden, aber er machte sie jedes Mal gleich wieder aus, weil es — wie er sagte — nicht nötig sei, daß unser Kommen den Zelebranten signalisiert werde. Einmal setzte Diotallevi zu einem Kommentar an, ich weiß nicht mehr genau, was er sagte, vielleicht war es etwas von Rotkäppchen und dem Wolf, doch Agliè bat ihn mit einer gewissen Strenge zu schweigen.
    Schon als wir aus den Autos gestiegen waren, hatten wir ferne Stimmen gehört. Endlich gelangten wir an den Rand der Lichtung, die nun von diffusen Lichtern beleuchtet erschien, von kleinen Fackeln oder Funzeln, die am Boden glommen, ein mattes Silbergefunkel, als glühte da eine gasförmige Substanz mit chemischer Kälte in Seifenblasen, die über den Grasboden tanzten. Agliè hieß uns stehen bleiben, wo wir standen, noch im Schutz des Gebüschs, und dort zu warten, ohne uns bemerkbar zu machen.
    »In Kürze werden die Priesterinnen erscheinen. Besser gesagt, die Druidinnen. Es geht um eine Beschwörung der großen kosmischen Jungfrau Mikil — Sankt Michael ist eine volkstümlich-christliche Adaptation von ihr, nicht zufällig ist er ein Engel, mithin androgyn, so daß er den Platz einer weiblichen Gottheit einnehmen konnte... «
    »Wo kommen die her?« flüsterte Diotallevi.
    »Aus verschiedenen Gegenden, aus der Normandie, aus Norwegen, Irland... Es handelt sich um ein ziemlich singuläres Ereignis, und dies hier ist ein besonders geeigneter Ort für den Ritus.«
    »Warum?« fragte Garamond.
    »Manche Orte sind eben magischer als andere.«
    »Aber was für Leute sind das... im Leben?«
    »Nun, Leute eben. Sekretärinnen, Versicherungsagentinnen, Dichterinnen. Leute, denen Sie morgen auf der Straße begegnen könnten, ohne sie wiederzuerkennen.«
    Wir sahen jetzt eine kleine Schar in die Mitte der Lichtung strömen. Ich begriff, daß die kalten Lichter, die ich gesehen hatte, kleine Lampen waren, die die Priesterinnen in der Hand trugen, und daß sie mir deshalb so flach über dem Boden schwebend erschienen waren, weil die Lichtung auf dem Gipfel eines Hügels lag und ich die Druidinnen an den Rändern des Hochplateaus hatte auftauchen sehen. Sie trugen weiße Gewänder, die im leichten Wind flatterten. Sie ordneten sich zu einem Kreis, und drei von ihnen traten in die Mitte.
    »Das sind die drei hallouines von Lisieux, von Clonmacnois und von Pino Torinese«, flüsterte Agliè. Belbo fragte, warum gerade die, aber Agliè straffte die Schultern und sagte: »Still, warten Sie ab. Ich kann Ihnen nicht in drei Worten das Ritual und die Hierarchie der nordischen Magie erklären. Begnügen Sie sich mit dem, was ich Ihnen sage. Wenn ich nicht mehr sage, liegt es daran, daß ich nicht mehr weiß... oder nicht mehr sagen darf. Ich muß einige Diskretionsregeln beachten... «
    Im Zentrum der Lichtung lag ein Haufen Steine, der vage an einen Dolmen erinnerte. Vermutlich war die Lichtung gerade deswegen ausgesucht worden. Eine Priesterin stieg auf den Dolmen und blies in eine Trompete. Das Instrument glich noch mehr als das, welches wir vor ein paar Stunden gesehen hatten, einer Fanfare im Triumphmarsch der Aida. Doch es erklang ein weicher und dunkler Ton, der von sehr weither zu kommen schien. Belbo

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