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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Bei
diesem korrekten und fotogenen Händehoch rutschten die weiten Ärmel ihres
Gewandes bis zu den Schultern herab.
    Die wohlriechenden Arme, von
verwirrender Farbgebung und anmutiger Form, hatten gewiß keine Konkurrenz zu
befürchten. Eine Kleinigkeit jedoch verunzierte den linken Arm.
    Zehn Zentimeter unterhalb des
Ellbogens wurde eine Narbe sichtbar, die wohl kaum von dem Blumenstrauß eines
Bewunderers stammte. Ich mußte mein Urteil schnell fällen; schließlich konnte
ich sie keine Ewigkeit lang anstarren. Aber was ich da sah, ähnelte stark einer
früheren Schußverletzung.
     
    * * *
     
    Robert Beaucher hatte mir gesagt, daß
ich das, was er so sehnlichst wiederhaben wollte, in dem Mahagonischreibtisch
oder vielleicht auch unter dem Krimskrams einer kleinen Kommode neben dem Piano
finden würde. Denn Jackie Lamour sei alles andere als blöd und kenne die
Vorzüge der einfachsten Verstecke.
    Nachdem Robert Beaucher eine Zeitlang
das Lager mit der Tänzerin geteilt hatte, machte er sich offensichtlich falsche
Vorstellungen von ihren geistigen Fähigkeiten.
    Das Gesuchte befand sich nicht an den
bezeichneten Orten. Doch ich ließ mich nicht entmutigen und wurde auf dem
obersten Brett eines Regals fündig. Die Sucherei hatte Zeit gekostet, und ich
wollte mich schnell verdrücken. Alles in allem war ich zufrieden mit mir. Ich
hatte meinen Auftrag glücklich zu Ende geführt, ohne den Schlaf des einzigen
Hausdieners zu stören, der im obersten Stockwerk der Villa wohnte.
    In diesem Augenblick hörte ich draußen
auf der Straße Motorengeräusche. Ich kapierte schnell, aber das Auto war noch
schneller. Es hielt vor der Villa, bevor ich flüchten konnte.
    Es war noch zu früh, als daß Jackie
Lamour aus ihrem Cabaret zurücksein konnte. Ich stürzte zum Fenster. Der Kies
knirschte unter Doppelschritten, und gedämpft drangen Stimmen an mein Ohr.
    Entgegen meiner Annahme war es sehr
wohl die Tänzerin. Ihr Begleiter nannte sie Jackie, und sie beklagte sich mit
verschnupfter Stimme über den mangelhaften Komfort in der Künstlergarderobe der Amsel. Sie hatte sich dort erkältet, konnte ihre Tanznummer nicht
vorführen und war deshalb vorzeitig nach Hause zurückgekehrt.
    Dem Kerl an ihrer Seite schien das
alles furchtbar leid zu tun, allerdings, so mein Gefühl, bedauerte er sich
selbst mehr als sie. Zuerst traute ich meinen Ohren nicht. Litt ich an
auditiven Halluzinationen, hervorgerufen durch Unterkühlung? Denn selbst in
Marseille ist der November kein August, und ich hatte eine ganze Weile in
diesem feuchtkalten Salon herumgestöbert und mir sicherlich einen Kälteschock
geholt. Aber ich hatte mich nicht verhört. Ich kannte die Stimme des Mannes,
und in gewisser Weise fand ich’s lustig, obwohl mir nicht nach Lachen zumute
war.
    Das Paar betrat die Villa. Ich hörte
die Türen schlagen und Jackie bemerken, daß es nicht nötig sei, Joseph zu
wecken. Vielleicht war es das ja wirklich nicht, aber wenn die beiden weiterhin
einen solchen Lärm veranstalteten, würde der Butler von ganz alleine aus seinem
Bett fallen. Jackies Begleiter war derselben Meinung (der der Tänzerin!) und
machte eine Bemerkung über etwas, das zu erledigen sei. Darauf erwiderte die
Frau, daß er offenbar verrückt sei. Im nachhinein mußte ich Robert Beaucher
recht geben: Sie war verdammt gerissen, diese Jackie Lamour!
    Die beiden gingen in das Zimmer
nebenan. Meine Finger wurden immer kälter. Ich hörte, wie der Ofen angemacht
wurde. Bevor ich mich davonschlich, wollte ich gerne noch hören, was sie sich
zu erzählen hatten, und legte mein Ohr an die Verbindungstür. Jackie schimpfte
immer noch über ihren Schnupfen und den Chef der Amsel. Um ein wenig zu
verschnaufen, ließ sie dann das Thema fallen und nörgelte an ihrem Begleiter
herum. Der hatte hörbar seinen Spaß daran, Feuer zu machen. Jawohl, Spaß! Er
und seine „alte Kiste, die alle zehn Meter stehenbleibt“, höhnte die Frau, würden
gut zueinander passen. Der Spaßvogel antwortete nicht. Ein ganz Schlauer,
dachte ich. Innerlich lachte er sich bestimmt halbtot.
    Nach einer Weile unergiebigen
Lauschens hielt ich es für angebracht, keine Zeit mehr zu verlieren und
abzuhauen, bevor dieses ungleiche Paar — eine Mischung aus Turteltäubchen und
Königstiger — auf die Idee kommen würde, hier im Salon Musik zu machen. Das war
zwar recht unwahrscheinlich, wenn man — unter anderem — den angegriffenen
Gesundheitszustand der Frau bedachte, aber man kann nie wissen.
    Die

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