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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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sie zu einem kurzen Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie trug einen dunkelgrauen Wollanzug zu einem schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt – ein Ensemble vom peppigeren Teil ihrer Businessgarderobe. Ich besaß keine Geschäftskleidung. Mein Arbeitsplatz war unser Zuhause, wo ich mich in Bademantel oder Freizeitklamotten vor dem Fernseher oder dem Laptop hinlümmelte.
    »Hör dir dieses verlogene Arschloch an«, sagte Sammy und nickte Richtung Bildschirm, wo gerade irgendein Politiker interviewt wurde.
    »Mommy hat geflucht.« Walts Bemerkung war eine reine Feststellung, völlig wertfrei.
    »Du siehst gut aus. Hast du ein Meeting heute?«
    »Ein Geschäftsessen mit Anzeigenkunden. Scheißnervig.«
    »Schon wieder«, kommentierte Walt.
    »Hast du was rausgefunden?«, fragte Sammy mit gerunzelter Stirn. Sie hatte mein Telefonat auf der Terrasse beobachtet. Ich schüttelte den Kopf.
    » Was rausgefunden?«, fragte Walt.
    »Brauchen wir noch irgendwas?« Ich ignorierte Walt und öffnete den Kühlschrank, eine mannshohe Kühl-Gefrier-Kombination mit glänzenden Türen aus gebürstetem Edelstahl. »Ich fahre heute Nachmittag in die Stadt. Ich dachte, ich kaufe etwas Fisch, besorg was fürs Abendessen und …«
    »Wir haben noch Entenbrust«, sagte Sammy, während sie den Mantel überzog. »Und im Schrank ist noch Wildreis. Wär doch ganz lecker.« Sammy, ganz die Herausgeberin, immer alles im Blick.
    » Was rausgefunden?«, fragte Walt erneut.
    »Haben sie im Wetterbericht gesagt, ob die Straßen frei sind?«
    »Alles bestens. Du und deine übertriebene Sorge, Donnie.«
    Sie hatte recht. Fünfzehn Jahre lebte ich nun schon hier, und es machte mich immer noch fassungslos, dass die Kanadier bei einem Wetter Auto fuhren, das in Großbritannien die Armee mobilisiert hätte.
    » Was denn rausgefunden? «, fragte Walt zum dritten Mal.
    »Gar nichts! Himmel, Walt, wenn …« Ich versuchte, mich zu beherrschen. »Hör mal, vielleicht ist Herby ja irgendwo im Haus und hält ein kleines Nickerchen. Ich seh mich noch mal um, wenn du in der Schule bist, okay?«
    »Er wird schon wieder auftauchen, Schatz«, beruhigte ihn Sammy. »Komm her …« Die Autoschlüssel in der Hand, kniete sie sich hin, um ihn zu umarmen.
    »Genau«, sagte ich und erwiderte hinter Walts Rücken ihren besorgten Blick.
    »Also gut, Männer. Ich sehe euch dann heute Abend«, sagte Sammy und stand auf. »Und denk dran, Donnie. Wir brauchen die Kritik heute Mittag.«
    »Geht klar, Chefin.«
    Sie gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und flüsterte dabei: »Überprüf die Nebengebäude und ruf bitte noch mal alle Nachbarn an, ja?«
    Ich nickte, drehte mich zu Walt und klatschte in die Hände. »Dann mal los, Soldat. Auf in den Kampf, sonst verpassen wir noch den Bus.«
    Rückblickend erscheint mir gerade das Alltägliche dieses Morgens – wir drei in der Küche, mit unseren kleinen Abschiedsritualen, Instruktionen für den Tag, halb verspeisten Buttertoasts – als das pure Glück.

2
    Walt und ich winkten Sammys anthrazitfarbenem Range Rover hinterher, bis dieser hinter dem Pinienhain am Ende der Zufahrt verschwand. Dann gingen wir wie immer den kleinen Pfad hinunter, der am Waldrand entlang der Grenze zum Grundstück der Franklins verlief – eine Abkürzung zur Bushaltestelle an der Tamora Road. Mit unseren Schnürstiefeln stapften wir knirschend durch den knöcheltiefen Schnee, und unser Atem kondensierte zu dichten Wölkchen in der kristallklaren Luft, die so kalt war, dass sie die Lunge mit Hunderten von Nadelstichen zu traktieren schien. Walts heiße, kleine Hand lag in meiner, und vor uns erstreckten sich die Schneewehen bis zum Horizont.
    Auch mich hatte es hierhergeweht. Erst von Schottland nach England, dann nach Toronto und schließlich bis nach Saskatchewan. Immer weiter nach Norden und Westen hatte es mich getrieben, immer weiter weg von meiner Heimat. Mit einer Ausdehnung von über 300000 Quadratkilometern, aber nur einer Million Einwohnern beherbergt Saskatchewan in etwa so viele Menschen wie Birmingham, jedoch verteilt auf ein Gebiet, das doppelt so groß ist wie Großbritannien. Bewegt man sich von Regina oder Moose Jaw nach Süden, landet man schon bald auf amerikanischem Boden in Montana oder North Dakota. Nach Norden hin, über den Prince-Albert-Nationalpark hinaus, erreicht man die glitzernden Eislandschaften der Northwest Territories, den subarktischen Teil des Landes, wo mit minus 57 Grad die kälteste Temperatur Kanadas gemessen

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