Das gebrochene Versprechen
wie ein ziemlich
beunruhigender Gedanke.«
»Hör zu, so beunruhigend finde
ich das nicht. Wahrscheinlich ist das alles nur das Werk eines harmlosen
Spinners, aber man sollte dem trotzdem nachgehen.«
»Hm.«
»Was soll das heißen?«
»Du hast wieder diesen Zug um
die Mundwinkel.«
»Welchen Zug?«
»So einen Zug, den du immer
hast, wenn du beunruhigt oder nervös bist — oder Angst hast.«
»Ich habe keine Angst.«
Er lächelte — ein schiefes,
fast schon ein wenig schwermütiges Lächeln, das sein Markenzeichen war und eine
seiner vielen liebenswerten Eigenheiten. »Okay, vielleicht projiziere ich ja
meine Gefühle auf dich. Ich habe nämlich Angst. Angst, wie ich sie seit langem
nicht mehr gehabt habe. Weniger um mich als um deine Schwester und die Kinder.
Was, wenn dieser Irre sich an sie heranmacht?« Er spreizte die Finger, und sein
Lächeln zerbrach in einen Ausdruck nervöser Anspannung.
Mit seinen sechsunddreißig
Jahren strahlte Ricky jenes ungreifbare gewisse Etwas aus, das ein Star
braucht, er wirkte von seinem ganzen Habitus her wie ein erfolgreicher,
wohlhabender Mann. Doch sein Eingeständnis, dass er Angst hatte, beschwor in
meinem Kopf den verängstigten, achtzehnjährigen Habenichts herauf, der zu uns
kam, um meinen Eltern zu eröffnen, dass er meine kleine Schwester Charlene bei
ihrem ersten Date geschwängert hatte und sie jetzt heiraten wollte.
Um die Spannung zu lösen, griff
ich auf einen alten Privatscherz zwischen uns zurück. »Du hast dich ganz schön
gemausert, Bruder Ricky.«
Er guckte zuerst perplex und
sagte dann »Du auch, Schwester Sharon« und verwies mit einer Geste auf mein
neues Büro am Ende des Pier 24 1/2.
»Danke.« Das Ermittlungsbüro
McCone und das Anwaltsbüro Altman & Zahn residierten erst seit drei
Wochen im Obergeschoss auf der Nordseite des Piergebäudes, und trotz einiger
offenkundiger Mängel war ich begeistert.
»Okay«, sagte ich, jetzt ruhig
genug, um mich genauer mit der Sache zu befassen, »du sagst, der erste Brief
kam eine Woche nach dem Erscheinen dieser beiden Zeitungsartikel?«
»Etwas mehr als eine Woche, von
der Billboard -Meldung an gerechnet. Und von da an kamen sie genau im
Wochenabstand, nur nicht am dritten Juni, da waren es zwei Tage mehr, wegen des
Feiertags.«
»Dann dürfte das wohl kein
Zufall sein. Hast du die Umschläge aufgehoben?«
»Nein. Aber sie waren in L.A.
abgestempelt.«
»Postleitzahl?«
Er dachte nach. »Weiß ich nicht
mehr. Sorry.«
»Du hast die Briefe oft in der
Hand gehabt?«
»Na ja, klar. Warum?«
»Macht es dem Labor schwer,
irgendwas Brauchbares zu finden, zum Beispiel Fingerabdrücke. Aber ich werde
sie trotzdem untersuchen lassen. Warum hast du sie mir nicht schon früher
gezeigt?«
»Zuerst hab ich das nicht
weiter ernst genommen. In meinem Job kriegt man eine Menge merkwürdiger Post.«
»Aber nicht an die
Privatadresse. Deine sollte doch eigentlich überhaupt niemand kennen.«
»Stimmt. Meine Alarmglocken
hätten wohl schon früher schrillen sollen, aber... Dieser erste Brief — den hab
ich mit einem Achselzucken abgetan und im Büro in eine Schublade gesteckt, wo
ich Sachen hintue, mit denen ich mich irgendwann mal befassen will. Den
nächsten hab ich deiner Schwester gezeigt, die meinte, sie finde das nicht
weiter beunruhigend. Die anderen... na ja, ich habe immer gehofft, es würde von
selbst aufhören. Aber das tat’s nicht, und es klingt, als ob der Absender von
mir eine Antwort will und sich immer mehr aufregt, weil keine kommt. Das
Problem ist, dass ich keine Ahnung habe, was diese Frage soll.«
»›Was ist mit meinem Song
geschehn?‹ Das sagt dir überhaupt nichts?«
»Ich habe das Gefühl, dass das
eine Textzeile aus irgendeinem Song ist. Aber ich komme nicht drauf.«
»Na ja, dem sollte man immerhin
nachgehen.« Ich vermerkte es auf einem Notizblock. »Also, wer käme als Absender
infrage? Darüber musst du doch schon nachgedacht haben? Vielleicht jemand von
Transamerica, der ernstlich sauer auf dich ist, weil du von dort weggegangen
bist?«
»Entspricht ganz und gar nicht
dem Firmenimage.«
»Irgendein anderer Musiker oder
Songwriter, der unzufrieden damit ist, wie du einen Song von ihm interpretiert
hast?«
»Nein. Ich habe nie anderer
Leute Songs gecovert. Meine Sachen sind alle von mir.«
»Vielleicht jemand, der dich
des Plagiats bezichtigt?«
»Sehr unwahrscheinlich. Das
Erste, was man bei einem Plagiatsverdacht tut, ist einen Anwalt einzuschalten.
Bisher hat aber
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