Das gebrochene Versprechen
wollte,
verneinte ich einfach.
»Dann müssen wir’s wohl
abwarten.« Er stand auf und ging zur Tür.
»Eins noch, Ricky. Weiß jemand
von deinen Partnern oder deinen übrigen Leuten von diesen Briefen?«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Wie gesagt, in dieser Branche
kann man niemandem wirklich trauen. Das habe ich ziemlich bald gelernt.«
»Wer weiß davon?«
»Nur du und Charly.«
Ich hätte ihn gern gefragt, was
meine Schwester davon hielt. Sie war eine temperamentvolle, besitzergreifende
Person; sie und Ricky hatten stets heftigst darüber gestritten, was sich in
jenem Teil seines Lebens tat, von dem sie sich aus eigenem Entschluss fern
hielt. Mit Sicherheit war ihr der Gedanke gekommen, dass die Briefe von einer
Frau stammten.
Er musste mir die Frage an den
Augen abgelesen haben, denn er sagte jetzt leise: »Im Moment habe ich keine
Ahnung, was Charly von irgendwas hält, Shar.«
»Probleme?«
Er zuckte die Achseln, ein
gequältes Zucken um den Mund und einen melancholischen Ausdruck im Gesicht.
»Wir reden später drüber, okay? Jetzt will ich erst noch meinem Sohn guten Tag
sagen, ehe ich wieder los muss.« In der Tür sah er sich noch einmal um.
»Apropos, ich will nicht, dass Mick etwas von dem Ganzen erfährt. Setz ihn in
dieser Sache nicht ein, okay?«
Ich runzelte die Stirn. Sein
Sohn war mein Computercrack und eine unschätzbare Hilfe bei der Beschaffung von
Hintergrundinformation. Wenn ich ihn nicht einsetzen konnte, musste ich
vorübergehend jemanden anheuern.
»Ich weiß, wie wichtig er für
dich ist«, sagte Ricky, »aber dieses eine Mal wirst du ohne ihn auskommen
müssen.«
Ich nickte und sah ihm nach;
dann rutschte ich tiefer in meinen Sessel und starrte trübsinnig auf die
einzelne schwärzlich rote Rose in der Kolbenvase auf meinem Schreibtisch — eine
Liebesgabe von Hy, die unweigerlich jeden Dienstagmorgen eintraf. Diese Woche
war sie, wegen der ungewöhnlichen Hitze der letzten Zeit, etwas angegriffen.
Rickys Forderung, Mick aus den
Ermittlungen herauszuhalten, bedrückte mich, wenn auch nicht wegen der
praktischen Probleme, die es bedeutete. Wenn ich’s mir recht überlegte, wäre es
tatsächlich unprofessionell, diesen Job zur Familienangelegenheit zu machen.
Schlimm genug, dass ich persönlich involviert war. Theoretisch hätte ich meinen
Schwager an eine andere Detektei verweisen sollen, aber ich wollte dieses
Problem niemand anderem anvertrauen. Und so wie Ricky seine Privatsphäre
hütete, hätte er sich darauf vermutlich sowieso nicht eingelassen. Nein, es war
schon richtig, dass ich den Fall übernommen hatte, und es war ebenso richtig,
dass er seinen Sohn draußen halten wollte.
Aber seine Forderung warf
Fragen auf, die mir gar nicht behagten. Gab es etwas in seiner Vergangenheit,
wozu er nicht stehen konnte, weil es so schlimm war? Würden meine Ermittlungen
etwas zutage fördern, was die Familie nicht verkraften könnte? Es klang sowieso
schon so, als wäre in dem nagelneuen Elfhundert-Quadratmeter-Haus in den Hügeln
über La Jolla nicht alles eitel Wonne. Komisch, dass Mick und ich nichts davon
gemerkt hatten, als wir letzten Monat zur Einweihungsparty dort gewesen waren.
Oder vielleicht doch nicht so komisch; wie die meisten Kinder neigte Mick dazu,
seine Eltern als unveränderliche Größe zu sehen, und ich neigte — trotz
häufiger Hinweise auf das Gegenteil — dazu, Charlenes und Rickys Ehe zu
idealisieren.
Er hatte sie vom Bandpodium aus
erspäht, bei einem High-School-Ball, wo er und seine vier Kumpels aus
Bakersfield gespielt hatten: die scharfe kleine Charlene McCone mit dem langen
Blondhaar, der nachgesagt wurde, dass man eine Menge Spaß mit ihr haben konnte.
Und in jener Nacht, nachdem sie ihren Begleiter abgewimmelt und dann gewartet
hatte, bis die Jungs mit Abbauen fertig waren, hatte auch er seinen Spaß mit
ihr gehabt, hinten im Kleinbus der Band. Sie hatte zwei Nachmittage in seinem
billigen Motelzimmer verbracht, und als er wieder abgefahren war, hatte er ihr
keinerlei Versprechungen gemacht. Er werde schon wiederkommen, hatte mir
Charlene erklärt. Ricky sei der Mann, den sie heiraten werde, Schluss mit der
Herumbumserei.
Charlene war nicht mal mehr mit
einem anderen Jungen ausgegangen.
Als Ricky zurückkam, war sie im
vierten Monat schwanger, strahlend und nicht im Mindesten besorgt. Sie brachte
es ihm sofort bei, und am nächsten Abend erschien er bei uns zu Hause, in einem
Anzugjackett, das an den Ärmeln ein ganzes Stück zu kurz war, und
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