Das Geheimnis meiner Mutter
gerettet – das trifft es eher.
Darf ich sagen, dass ich es hasse, gerettet zu werden?
Das ist einfach nur eine andere Form der Hilflosigkeit. In der einen Minute war ich hilflos, weil das Ekel versuchte, mich zu küssen und zu befummeln. Und in der nächsten Minute war ich hilflos, als ein anderer Junge sich einschaltete und es mit allen drei Widerlingen aufnahm. Innerhalb einer halben Minute hatte er sie alle zum Heulen gebracht. Und ich stand einfach nur daneben und fühlte mich wie das dümmste Mädchen im dümmsten Film, der je gedreht worden ist. Ich stand einfach nur da und biss mir auf die Knöchel. Eine totale Idiotin.
Wenn ich mich in einem Film gesehen hätte, hätte ich geschrien: „Steh nicht einfach nur dumm rum, hilf ihm!“
Ich meine, wie lahm ist das bitte, einfach dort zu stehen, während der andere Junge total ausflippt? Ich meine, es ist schwer zu beschreiben, aber ihm beim Kämpfen zuzusehen war irgendwie faszinierend. Er hat auf den größten der Jungs eingeschlagen, als wäre er nur ein Klumpen Fleisch. Als ich an mir herunterschaute, habe ich gesehen, dass ich Blutspritzer auf meinen Schuhen und Beinen hatte.
Endlich bin ich weit genug aus meiner Erstarrung erwacht, um was zu sagen. Ein einziges Wort. „Stopp.“ Dann hab ich noch zwei Wörter gesagt. „Das reicht . “
Es hätte eigentlich nicht funktionieren sollen, hat es aber. Der wilde Junge hob seine Hände, stand auf und trat einen Schritt von dem Typ zurück, der versucht hatte, mich zu küssen.
Alle drei Jungen rannten weg wie ein Rudel räudiger Hunde.
Und ich stand da und starrte immer noch den Jungen an, der mich gerettet hatte. Ich sage gerettet , aber stimmt das auch? Ich habe ihn beobachtet wie etwas, das explodiert, wenn man es berührt. Er schwitzte, und sein Gesicht war rot, aber dann, beinahe wie Magie, überkam ihn eine unglaubliche Ruhe. Das Blau seiner Augen wechselte von heiß zu kalt. Die Röte in seinen Wangen verblasste.
Ich starrte ihn nur mit offenem Mund an wie eine Forelle an Land. Denn jetzt, wo er ganz ruhig dastand, konnte ich sehen, dass er nicht einfach irgendein Campbewohner war. Dieser Junge war unglaublich beeindruckend. Wie ein Filmstar. Er hatte mit einem Mal überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit dem Berserker, der die anderen Jungen verscheucht hatte.
Er hat mich genauso intensiv angeschaut. In meine Augen und vielleicht auch auf meinen Mund. Wir sind zur gleichen Zeit verlegen geworden und haben mit den Füßen gescharrt. Als mein Gehirn endlich wieder funktionierte, habe ich ihn aus dem Erste-Hilfe-Kasten versorgt.
Er hat mir gesagt, dass er Rourke McKnight heißt. Er denkt vermutlich, dass ich Grandpa nie wieder auf seiner Tour zum Camp Kioga begleiten werde. Aber da liegt er vollkommen falsch. Ich werde jede Gelegenheit zurückzukehren nutzen, die sich mir bietet. Denn die Sache ist die: Ich wünschte, du wärst hier, Mom. Denn das hier ist keine Sache, die ich mit Granny besprechen kann. Ich hatte ein ganz seltsames Gefühl, als ich mit dem Jungen gesprochen habe. Wie Schmetterlinge im Magen. Aber es war ein gutes Gefühl. Vielleicht hätte ich mich noch weiter mit ihm unterhalten und versucht herauszufinden, warum er diese Gefühle in mir weckt, aber dann kam ein anderer Junge dazu. Anfangs hatte ich Angst, dass er auch einer der Bösen war, aber wie sich herausstellte, handelte es sich um Joey Santini, Rourkes besten Freund.
Okay, ich sehe mir die beiden so an und denke, das kann doch wohl nicht wahr sein. Die sind beide supernett, aber vor allem Joey, der die größten, braunsten, weichsten Augen hat, die ich je gesehen habe. Wenn er ein Mädchen wäre, wäre er garantiert bald auf allen Titelblättern zu sehen. Er hat versucht, mich mit seinen Geschichten zu beeindrucken, was irgendwie süß war. Rourke hingegen ist gar nicht auf diese Art süß, aber trotzdem hat er die Schmetterlinge verursacht.
Egal, ich kann es kaum erwarten, Nina davon zu erzählen. Sie wird ausflippen, wenn sie hört, dass ich gerade die beiden süßesten Jungen vom Camp Kioga kennengelernt habe. Korrektur: die beiden süßesten Jungen des Planeten !
Jennys beste Freundin war Nina Romano. Sie kannten sich seit der Grundschule. Nina war über ein Jahr älter als Jenny, aber sie gingen trotzdem in die gleiche Klasse. Nina behauptete immer, ihre Mutter hätte ein ganzes Jahr lang vergessen, sie im Kindergarten anzumelden, weil es in der Familie neun Kinder gab. Tatsächlich hatte Nina aber Schwierigkeiten
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