Rom - Band II
VII.
Am nächsten Tage, als Pierre nach einem langen Spaziergang sich wieder vor dem Vatikan befand, wohin ihn eine Art Behexung immer wieder zurückführte, begegnete er abermals Monsignore Nani. Es war Mittwoch Abend und der Assessor beim S. Offizio hatte eben seine wöchentliche Audienz beim Papste gehabt, dem er über die am Morgen stattgefundene Sitzung der heiligen Kongregation Bericht erstattete.
»Welch glücklicher Zufall, mein lieber Sohn! Eben dachte ich an Sie. Möchten Sie nicht Seine Heiligkeit in der Öffentlichkeit sehen, ehe Sie ihn in der Privataudienz sehen?«
Er sagte das mit seiner vornehmen, gefällig lächelnden Miene, aus der man kaum die leichte Ironie des überlegenen Mannes herausfühlte, der alles wußte, alles vermochte, alles vorbereitete.
»Gewiß, Monsignore,« antwortete Pierre. Er war über das plötzliche Anerbieten etwas erstaunt. »Jede Zerstreuung ist willkommen, wenn man die Zeit mit Warten verliert.«
»Nein, nein, Sie verlieren Ihre Zeit nicht,« entgegnete der Prälat lebhaft, »Sie sehen sich um, Sie denken nach, Sie belehren sich. Nun, ohne Zweifel wissen Sie, daß der große, internationale Pilgerzug des Peterspfennigs Freitag in Rom ankommt und Samstag von Seiner Heiligkeit empfangen werden wird. Am nächsten Tage, Sonntag, findet eine weitere Zeremonie statt. Seine Heiligkeit wird in der Basilika die Messe lesen. Nun, ich habe noch einige Karten übrig. Hier sind ein paar sehr gute Plätze für beide Tage.«
Er zog eine elegante, mit einem goldenen Namenszug geschmückte Brieftasche aus der Tasche und nahm zwei Karten, eine grüne und eine rosa, daraus hervor, die er dem jungen Priester reichte.
»Ach, wenn Sie wüßten, wie man sich um sie streitet! Erinnern Sie sich an die beiden Französinnen, die den heiligen Vater für ihr Leben gern sehen wollten? Ich mochte nicht gar zu sehr drängen, um ihnen eine Audienz zu verschaffen; sie mußten sich ebenfalls mit den Karten begnügen, die ich ihnen gab. Ja, der heilige Vater ist etwas erschöpft. Ich war eben bei ihm, er sieht gelb und fieberhaft aus. Aber er ist so mutig, in ihm lebt nur die Seele.«
Er lächelte wieder mit kaum merklichem Spott.
»Ja, er ist ein großes Beispiel für die Ungeduldigen, mein lieber Sohn. Ich habe erfahren, daß der treffliche Monsignore Gamba del Zoppo nichts für Sie zu thun vermochte. Sie müssen sich deswegen nicht übermäßig kränken. Gestatten Sie mir, zu wiederholen, daß dieses lange Warten sicherlich eine Gnade der Vorsehung ist. Sie können sich belehren; Sie werden gezwungen, Dinge zu verstehen, die ihr französischen Priester leider nicht fühlt, wenn ihr nach Rom kommt ... Vielleicht werden Ihnen dadurch auch Irrtümer erspart. Also beruhigen Sie sich; sagen Sie sich, daß alle Ereignisse in der Hand Gottes liegen und zu der von seiner höchsten Weisheit festgesetzten Stunde eintreten werden.«
Er hielt ihm seine hübsche, geschmeidige und volle Hand hin. Es war eine weiche Frauenhand, aber ihr Druck besaß die Kraft eines eisernen Schraubstockes. Dann stieg er in den Wagen, der ihn erwartete.
Nun handelte der Brief, den Pierre vom Vicomte Philibert de la Choue erhalten hatte, gerade von dem großen, internationalen Pilgerzug des Peterspfennigs. Es war ein langer Aufschrei der Erbitterung und Verzweiflung, denn der Vicomte schrieb vom Bette aus, an das ihn ein furchtbarer Gichtanfall annagelte, und konnte nicht mitkommen. Was jedoch seinem Schmerze die Krone aufsetzte, war, daß der Präsident des Komites, der natürlich das Amt hatte, den Pilgerzug dem Papste vorzustellen, gerade der Baron von Fouras war, einer seiner erbittertsten Gegner von der alten, konservativ-katholischen Partei. Er zweifelte keinen Augenblick, daß der Baron die einzige Gelegenheit benützen werde, um den Papst zu seiner Theorie von den freien Korporationen zu bekehren, während er, de la Choue, das Heil des Katholizismus und der Welt nur in den geschlossenen, obligatorischen Korporationen sah. Er flehte daher Pierre auch an, sich bei den günstig gesinnten Kardinälen zu verwenden, es trotz allem durchzusetzen, daß der heilige Vater ihn empfange, und Rom nicht zu verlassen, ohne ihm die höchste Approbation mitzubringen, die allein den Sieg entscheiden könne. Außerdem enthielt der Brief interessante Einzelheiten über den Pilgerzug selbst. Er bestand aus dreitausend Pilgern aus allen möglichen Ländern, aus Frankreich, Belgien, Spanien, Oesterreich, sogar Deutschland, und wurde von
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