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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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Paläste.
    Wir stehen auf den abendlichen schaukelnden Pontons und fühlen das Schweigen, den Friedhof fühlen wir und den Tod – aber tief in uns hören wir wieder das Gewitter, das Gedonner und Gedröhn der Werften. Tief in uns fühlen wir das Leben – und das Schweigen über dem Strom wird wieder platzen, wie eine Lüge, von dem Lärm, von der Lust des lauten Lebens! Das fühlen wir – tief in uns abends auf den flüsternden Pontons.
    Elbe, stadtstinkende kaiklatschende schilfschaukelnde sandsabbelnde möwenmützige graugrüne große gute Elbe!
    Links Hamburg, rechts die Nordsee, vorn Finkenwerder und hinten bald Dänemark. Um uns Blankenese. Über uns der Himmel. Unter uns die Elbe. Und wir: Mitten drin!

Draußen vor der Tür
    Ein Stück,
    das kein Theater spielen und
    kein Publikum sehen will

    Hans Quest gewidmet

    BECKMANN, einer von denen
    seine FRAU, die ihn vergaß
    deren FREUND, der sie liebt
    ein MÄDCHEN, dessen Mann auf einem Bein nach Hause kam
    ihr MANN, der tausend Nächte von ihr träumte
    ein OBERST, der sehr lustig ist
    seine FRAU, die es friert in ihrer warmen Stube
    die TOCHTER, gerade beim Abendbrot
    deren schneidiger MANN
    ein KABARETTDIREKTOR, der mutig sein möchte, aber dann doch lieber feige ist
    FRAU KRAMER, die weiter nichts ist als Frau Kramer, und das ist gerade so furchtbar
    der ALTE MANN, an den keiner mehr glaubt
    der BEERDIGUNGSUNTERNEHMER mit dem Schluckauf
    ein STRASSENFEGER, der gar keiner ist
    der ANDERE, den jeder kennt
    die ELBE.

    Ein Mann kommt nach Deutschland.
    Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld mußte er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.
    Ein Mann kommt nach Deutschland.
    Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muß sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Aber dann sieht er, daß es rechts und links neben ihm noch mehr Leute gibt, die alle dasselbe erleben. Und er denkt, daß es dann doch wohl die Wahrheit sein muß. Ja, und als er dann am Schluß mit leerem Magen und kalten Füßen wieder auf der Straße steht, merkt er, daß es eigentlich nur ein ganz alltäglicher Film war, ein ganz alltäglicher Film. Von einem Mann, der nach Deutschland kommt, einer von denen. Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutsch- land ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße.
    Das ist ihr Deutschland.

    Vorspiel

    (Der Wind stöhnt. Die Elbe schwappt gegen die Pontons. Es ist
Abend. Der Beerdigungsunternehmer. Gegen den Abendhimmel die Silhouette eines Menschen.)

    DER BEERDIGUNGSUNTERNEHMER
(rülpst mehrere Male und sagt dabei jedesmal)
: Rums! Rums! Wie die – Rums! Wie die Fliegen! Wie die Fliegen, sag ich.
    Aha, da steht einer. Da auf dem Ponton. Sieht aus, als ob er Uniform an hat. Ja, einen alten Soldatenmantel hat er an. Mütze hat er nicht auf. Seine Haare sind kurz wie eine Bürste. Er steht ziemlich dicht am Wasser. Beinahe zu dicht am Wasser steht er da. Das ist verdächtig. Die abends im Dunkeln am Wasser stehn, das sind entweder Liebespaare oder Dichter. Oder das ist einer von der großen grauen Zahl, die keine Lust mehr haben. Die den Laden hinwerfen und nicht mehr mitmachen. Scheint auch so einer zu sein von denen, der da auf dem Ponton. Steht gefährlich dicht am Wasser. Steht ziemlich allein da. Ein Liebespaar kann es nicht sein, das sind immer zwei. Ein Dichter ist es auch nicht. Dichter haben längere Haare. Aber dieser hier auf dem Ponton hat eine Bürste auf dem Kopf. Merkwürdiger Fall, der da auf dem Ponton, ganz merkwürdig.
(Es gluckst einmal schwer und dunkel auf. Die Silhouette ist verschwunden.)
Rums! Da! Weg ist er. Reingesprungen. Stand zu dicht am Wasser. Hat ihn wohl untergekriegt. Und jetzt ist er weg. Rums. Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter. Der Wind weht weiter. Die Elbe quasselt weiter. Die Straßenbahn klingelt weiter. Die Huren liegen weiter weiß und weich in den Fenstern. Herr Kramer dreht sich auf die andere

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