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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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    »Ich bin verdammt«, denkt Bunny Munro in jenem plötzlichen klaren Moment, der denen vorbehalten ist, die bald sterben werden. Er merkt, dass er irgendwann irgendwo einen schlimmen Fehler gemacht haben muss, aber diese Erkenntnis verklingt so schnell, wie sie gekommen ist. Jetzt steht er da, in einem Zimmer des Grenville Hotels und in Unterhose, allein mit sich und seinen Trieben. Er schließt die Augen und stellt sich irgendeine beliebige Muschi vor, dann setzt er sich auf das Bett und lehnt sich in Zeitlupe an das gepolsterte Kopfende. Er klemmt sein Handy unters Kinn, schraubt mit den Zähnen ein Schnapsfläschchen auf, leert es in einem Zug und feuert es quer durchs Zimmer. Dann schüttelt er sich, würgt und sagt ins Telefon: »Keine Sorge, Süße, alles wird gut.«
    »Ich hab Angst, Bunny«, sagt Libby, seine Frau.
    »Wovor denn? Es gibt doch gar keinen Grund.«
    »Vor allem, ich hab Angst vor allem «,antwortet sie.
    Bunny bemerkt eine Veränderung in der Stimme seiner Frau, die sanften Cellos sind verstummt und eine hohe, krächzende Geige ist hinzugekommen, die von einem ausgebüxten Affen oder so was gespielt wird. Bunny registriert das zwar, begreift aber noch nicht ganz, was es bedeutet.
    »Hör auf, so zu reden. Du weißt, das führt zu nichts«, sagt Bunny und führt mit einer fast liebevollen Geste seine Zigarette zum Mund. Da fällt plötzlich der Groschen – der Pavian an der Geige, ihre unaufhaltsam abwärts taumelnde Stimmung –, und er sagt »Fuck!« und bläst zwei wütende Rauchhauer aus den Nasenlöchern.
    »Hast du etwa dein Tegretol nicht genommen? Libby, sag mir, dass du dein Tegretol genommen hast!«
    Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille, dann folgt ein gebrochenes, fernes Schluchzen.
    »Dein Vater hat wieder hier angerufen. Ich hab keine Ahnung, was ich ihm sagen soll. Ich weiß nicht, was er will. Er brüllt mich an. Redet wirres Zeug«, sagt sie.
    »Zum Teufel, Libby, du weißt doch, was der Arzt gesagt hat. Wenn du dein Tegretol nicht nimmst, wirst du depressiv. Und du weißt ganz genau, wie gefährlich das ist. Wie oft muss ich dir das noch sagen, verdammt nochmal?«
    Das Schluchzen wird schneller, immer schneller und geht schließlich in leises, elendes Weinen über, das Bunny an ihre erste gemeinsame Nacht erinnert – wie Libby in einem runtergekommenen Hotel in Eastbourne in seinen Armen lag und von einem unerklärlichen Weinkrampf geschüttelt wurde. Sie sah zu ihm hoch und sagte: »Tut mir leid, ich werde manchmal ein bisschen rührselig«, und er antwortete nicht, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. »Du siehst gerade aus wie mein Traummann …«, sagte sie, und Bunny spürte, wie die gesamte Tonnage allen erotischen Datenmaterials, das er je in sich eingesogen hatte, in einer Woge reinen, süßen Gefühls aus ihm herausbrach, und er antwortete: »Und du, Baby, siehst gerade aus wie die Frau meines Lebens«, oder so was. Süße Erinnerungen.
    Bunny presst den Handballen in den Schritt, und von seinem Steißbein aus fährt ein wohliges Kribbeln durch die Wirbelsäule.
    »Nimm einfach das verdammte Tegretol«, sagt er etwas milder.
    »Ich hab Angst, Bun. Da läuft so ein Kerl rum und fällt Frauen an.«
    »Was denn für ein Kerl?«
    »Er hat rote Schminke im Gesicht und Plastikhörner, wie ein Teufel.«
    »Was?«
    »Oben im Norden. Es kommt gerade im Fernsehen.«
    Bunny nimmt die Fernbedienung vom Nachttisch und schaltet mit einer Folge von Paraden und Riposten den Fernseher ein, der auf der Minibar steht. Er stellt den Ton ab und schaltet weiter, bis Schwarz-Weiß-Aufzeichnungen einer Überwachungskamera aus einem Einkaufszentrum in Newcastle über den Bildschirm flimmern. Ein Mann in einer Trainingshose und mit freiem Oberkörper stürmt durch eine entsetzte Menschenmenge, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Er hat Teufelshörner auf dem Kopf und fuchtelt mit einer Art langem, schwarzem Stock herum.
    Bunny flucht leise, und in diesem Moment verlässt ihn jegliche sexuelle oder sonstige Energie. Er stößt die Fernbedienung in Richtung Fernseher, und mit einem elektrostatischen Zischen geht er aus. Bunny lässt den Kopf in den Nacken fallen und betrachtet einen Wasserfleck an der Decke, der die Form eines Glöckchens hat oder einer Brust.
    Irgendwo in den Grenzbereichen seines Bewusstseins nimmt er ein manisches, aufgebrachtes Gezwitscher wahr, ein grässliches, fast elektronisch anmutendes Piepsen wie ein Tinnitus, aber Bunny blendet es aus und

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