DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL: Roman (German Edition)
hineinschaue ..."
"Morgen wirst du aber nicht wieder hineinschauen", fiel sie ihm ins Wort. "Morgen wirst du dich wieder voll und ganz auf deine Arbeit konzentrieren. Vielleicht ein Spaziergang im Park. Oder du nimmst eine der netten Einladungen von Frau Jäger zum Kaffee an."
"Der Park. Genau darüber hat sie auch geschrieben. Von einem Park, in dem sie früher mit ihm gemeinsam war und den sie jetzt nur noch allein besuchen kann. Als ich heute früh nachlesen wollte, konnte ich aber nichts mehr darüber finden. Die Worte waren wie ausgelöscht - und durch neue ersetzt worden."
"Das ist doch albern."
Er legte den Apfel zurück auf den Tisch und nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz.
"Ich weiß doch selbst, dass es albern ist. Und wenn es irgendein Buch wäre, könnte ich es vielleicht ignorieren." Zögernd griff er nach ihrer Hand. "Aber es ist ihr Buch, Marie. Das letzte Buch, das sie vor ihrem Tod gelesen hat."
Noch während er auf eine Antwort von ihr wartete, wurde ihm die eigene Beharrlichkeit bewusst, mit der er sie zu überzeugen versuchte. Das Fehlen jeder für ihn sonst so typischen Skepsis. Die Priorität, die die Aufgabe innerhalb weniger Stunden eingenommen hatte, einem noch unbekannten Ziel zu folgen. Ein Ziel, das er noch nicht einordnen konnte und das ihn doch auf eine merkwürdige Art fesselte.
"Seite 139, sagst du?"
"Ja." Er umfasste ihre Hand ein wenig fester. "Seite 139."
Kapitel 3
"Das Glück im Augenwinkel, sagten Sie?" Der Mann mit dem strengen Blick und dem ebenfalls ein gewisses Maß an Strenge ausstrahlenden Namensschild L. Reichardt tippte den Titel in die Tastatur, als täte er den lieben langen Tag nichts anderes. "Ah, da haben wir es ja. Das Glück im Augenwinkel von Nancy Salchow."
"Nancy Salchow. Ja richtig."
Noch bevor Simon über seine Schulter hinweg einen Blick auf den Bildschirm werfen konnte, begab sich der Mann zu einem der Regale, fuhr mit dem Finger über die Buchrücken, um schließlich ein Exemplar herauszuziehen.
"Da ist es ja schon", sagte er und reichte es Simon, um sich kurz darauf dem nächsten Kunden zuzuwenden, der mit einem Lexikon in der Hand um Auskunft bat.
Simon setzte sich auf einen der Lesesessel zwischen den Regalen und begann, in dem Buch zu blättern. Wie von selbst suchten seine Finger die Seite 139. Und tatsächlich. So wie er vermutet hatte. Rose. Adam. Das Cabriolet. Die Geschichte über den skrupellosen Schwindler.
Er legte das Buch auf den kleinen Tisch der Leseecke und verließ die Bibliothek, ohne sich noch einmal umzudrehen. Vor dem Gebäude stürmte er hastig in seinen parkenden Wagen und griff nach dem Buch auf dem Beifahrersitz, noch bevor er den Schlüssel in das Zündschloss stecken konnte.
Claudia fragt mich ständig, wann ich endlich ihren Cousin treffen will. Detlef heißt er. Kannst du dir das vorstellen? Sie will mich ernsthaft verkuppeln. Aber sie versteht nicht, wie lächerlich der Gedanke ist, dich durch einen Anderen zu ersetzen. Und ich will ihr nicht wehtun, indem ich es ihr so direkt sage. Immerhin ist sie die einzige Freundin, die mir geblieben ist. Alle anderen haben sich abgewandt, nachdem ich monatelang jeden Annäherungsversuch abgeblockt habe. Nur sie hat sich nicht abschrecken lassen, hat mich immer wieder in irgendein Bistro geschleppt, und sei es nur für einen lauwarmen Kaffee. Einmal hat sie mich sogar dazu gebracht, mit ihr ins Kino zu gehen. Worum es in dem Film ging, habe ich bereits vergessen. Nett fand ich es trotzdem. Sie bemüht sich. Sie bemüht sich wirklich.
"Nita", sagt sie immer. "Nita, das Leben kann scheiße sein. Aber es ist noch nicht vorbei. Du bist jung und du bist schön. Und es wird Zeit, dass wir das der Welt da draußen zeigen." Und irgendwie muss ich lachen, wenn sie das sagt. Auch wenn ich natürlich noch lange nicht bereit bin, "mich der Welt zu zeigen". Meine Welt bist du, Patrick. Und das wird sich auch nicht ändern.
Und wenn er doch verrückt wurde? Wenn ihm die Trauer um Emma den Verstand vernebelte und jeglichen Bezug zur Realität verlieren ließ?
Er schlug das Buch zu, warf es ins Handschuhfach und presste seine Hand ruckartig dagegen. Warum tat er sich das an? Warum interessierte es ihn überhaupt, was es mit diesem Buch auf sich hatte? Es konnte ihm doch egal sein. Vollkommen egal. Wer auch immer diese Frau war, was auch immer sie durchmachte: Sie erinnerte ihn nur umso schmerzhafter an seinen eigenen Verlust, an all die schönen Momente, die von Tag zu Tag immer mehr
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