Das Gold von Karthago
hatte. Die Herde dort oben würde nicht blöken,
aber bald Flüssigkeit absondern und bis dahin als dumpfe graue Wolle über der Stadt hängen.
Einer der römischen Ruderer sprang vom Bord des Seglers auf den Kai. Die Hände auf dem Rücken gefaltet, ging er langsam nach Norden, zum Tor. Immer wieder blieb er stehen, um Läden und Werkstätten zu betrachten: Gestelle mit feinen Glasbehältern, daneben in Ständern spitzbödige Tontöpfe mit Öl, ein paar Schritte weiter den Schuppen eines Segelmachers, dann die Schänke. Als er weitergegangen war, löste sich aus dem Dunkel eines Vordachs eine Gestalt, nur mit einem Lederschurz bekleidet. Zililsan, der Libyer, würde dem Römer folgen, als unmerklicher Schatten.
Die übrigen schienen an Bord des Schiffs bleiben zu wollen. Ein Wasserverkäufer, Ziegenbalg über der Schulter, näherte sich dem Segler, dann andere Männer, die Hühner, Früchte, Brot feilboten; eine Dirne aus der Schänke. Die Römer wiesen alle ab. Als Bomilkar schon aufstehen wollte, verließ einer der Steuerleute das Boot und schlenderte wie beiläufig zum Tor. Ihm würde der zweite Mann folgen, Duush, ein Numider, aber außerhalb des Hafengeländes; Bomilkar hatte ihn angewiesen, durch den engen Gang zwischen der Schänke und der Werkstatt eines Tauschlägers alles zu beobachten, sich aber nicht blicken zu lassen.
Er wartete noch eine Weile, hundert Atemzüge oder länger, bis er endlich aufstand. Er wußte, daß noch zwei seiner Leute wachten; vielleicht würden weitere Römer Erkundungen versuchen. Aber Bomilkar konnte und wollte nicht länger am Hafen bleiben. Er schwitzte und sehnte sich nach einem Bad; nach einem frischen kitun , den sorgsam verdreckten Leibrock zu ersetzen; nach Wein, verdünnt mit kühlem Wasser. Und er mußte sich um den eigentlichen Gegner kümmern, der zweifellos darauf wartete, den Leichnam zu sehen und Fragen zu stellen.
Wie immer beobachtete er die Umgebung, ohne sich merklich darum zu bemühen. Er sah die halbnackten Zimmerleute in der Halle eines Schiffbauers und jenseits des
halbfertigen Rumpfs die klobigen Zeichen, die jemand auf die Innenseite der großen Seemauer geschmiert hatte: Matho ist ein Sack . Er bemerkte die Sklaven, die miteinander tuschelten, bis er so nah am Tor des Eisenbiegerschuppens war, daß er sie hätte hören können; da drehten sie sich um und gingen hinein. Er sah die Farbtupfer und Fäulnisflecken auf der Klappbrücke über der Zufahrt zum Kriegshafen, die fransige Sandale mit zerschlissenen Bändern am Fuß des Wächters vor dem Bankhaus, das einem Hellenen gehörte; sah sich gespiegelt in der Silberplatte, die eine junge Frau wie einen Schild vor der Brust trug, bis sie im Eingang einer Garküche verschwand. Er zählte, ohne zu zählen, die unebenen Steine, die dem Straßenpflaster entsteigen wollten, und die Menge rotgefärbter Vorhangschnüre im Durchgang zum Hinterhof eines fünfstöckigen Mietshauses. Sah die Muskeln eines Lastträgers. Die Armmuskeln einer Tuchverkäuferin, die schwere Ballen verschob. Die Rückenmuskeln eines Mannes mit einer Narbe in der rechten Wade, der sich über die Rollen auf dem Tisch eines Buchhändlers beugte. Die fetten Füße einer Dirne.
Aber er ertrank nicht in den zehntausend Dingen; während ein Teil seines Geistes sie sah und sichtete und ablegte, gedachte Bomilkar der lästigen Stunden, die vor ihm lagen. Er würde mit dem Römer reden, der hoffentlich nicht nur Latein sprach. Er würde mit ihm zur Isthmosmauer gehen, wo die Leiche des anderen Römers in einem Gewölbekeller lag. Sie würden sie zum Schiff bringen, und sobald die Römer ausliefen, würde Bomilkar dem Ratsherren Arish mitteilen, daß alles erledigt sei. Arish der Milde, wie er sich gern nennen ließ, der dafür gesorgt hatte, daß der römische Gesandte (wer auch immer es sei) die mächtige Festung betreten durfte. Arish die Qualle, wie man ihn nannte, wenn er nicht in der Nähe war. Arish der Grundherr: reich, einflußreich, einer der wichtigsten Männer des Rats, Vertrauter des großen Hanno, Gegner des Strategen Hamilkar und aller, die auf ihn setzten.
Bomilkar fröstelte plötzlich. Der Hauch einer Bedrohung. Er hatte in den Jahren des Kämpfens in Iberien gelernt, diesem Gefühl blind zu trauen. Die Erklärung würde später kommen; bisher war es immer so gewesen.
Er ging nicht schneller, blieb nicht stehen, lauschte. Er hörte das Stimmengewirr und eine Myriade Schritte. In der Schänke links ließ jemand ein Tongefäß
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