Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
weiter konnte, sich auch nicht fürchtete, so trat er ein. Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer, und sah mit ihren roten Augen die Fremden an. „Guten Abend“, schnarrte sie, und tat ganz freundlich, „lasst euch nieder, und ruht euch aus.“ Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen Topf etwas kochte. Die Tochter warnte die beiden, vorsichtig zu sein, nichts zu essen und nichts zu trinken, denn die Alte braue böse Getränke. Sie schliefen ruhig bis zum frühen Morgen. Als sie sich zur Abreise fertig machten und der Königssohn schon zu Pferde saß, sprach die Alte „warte, einen Augenblick, ich will euch erst einen Abschiedstrank reichen.“ Während sie ihn holte, ritt der Königssohn fort, und der Diener, der seinen Sattel fest schnallen musste, war allein noch zugegen, als die böse Hexe mit dem Trank kam. „Das bring deinem Herrn“, sagte sie, aber in dem Augenblick sprang das Glas und das Gift spritzte auf das Pferd, und war so heftig, dass das Tier gleich tot hinstürzte.
Der Diener lief seinem Herrn nach und erzählte ihm, was geschehen war, wollte aber den Sattel nicht im Stich lassen und lief zurück, um ihn zu holen. Wie er aber zu dem toten Pferde kam, saß schon ein Rabe darauf und fraß davon. „Wer weiß, ob wir heute noch etwas Besseres finden“, sagte der Diener, töteten den Raben und nahm ihn mit. Nun zogen sie in dem Walde den ganzen Tag weiter, konnten aber nicht heraus kommen.
Bei Anbruch der Nacht fanden sie ein Wirtshaus und gingen hinein. Der Diener gab dem Wirt den Raben, den er zum Abendessen bereiten sollte. Sie waren aber in eine Mördergrube geraten, und in der Dunkelheit kamen zwölf Mörder und wollten die Fremden umbringen und berauben. Eh sie sich aber ans Werk machten, setzten sie sich zu Tisch und der Wirt und die Hexe setzten sich zu ihnen, und sie aßen zusammen eine Schüssel mit Suppe, in die das Fleisch des Raben gehackt war. Kaum aber hatten sie ein paar Bissen hinunter geschluckt, so fielen sie alle tot nieder, denn dem Raben hatte sich das Gift von dem Pferdefleisch mitgeteilt.
Es war nun niemand mehr im Hause übrig als die Tochter des Wirts, die es redlich meinte und an den gottlosen Dingen keinen Teil genommen hatte. Sie öffnete dem Fremden alle Türen und zeigte ihm die angehäuften Schätze. Der Königssohn aber sagte, sie möchte alles behalten, er wollte nichts davon und ritt mit seinem Diener weiter.
Nachdem sie lange herum gezogen waren, kamen sie in eine Stadt, worin eine schöne aber übermütige Königstochter war, die hatte bekannt machen lassen, wer ihr ein Rätsel vorlegte, das sie nicht lösen könnte, der sollte ihr Gemahl werden: Fände sie aber die Lösung, so müsste er sich das Haupt abschlagen lassen. Drei Tage hatte sie Zeit, sich zu besinnen, sie war aber so klug, dass sie immer die vorgelegten Rätsel vor der bestimmten Zeit erriet. Schon waren neun Männer auf diese Weise umgekommen, als der Königssohn anlangte und von ihrer großen Schönheit geblendet sein Leben daran setzen wollte. Da trat er vor sie hin und gab ihr sein Rästel auf, „was ist das“, sagte er, „einer schlug keinen und schlug doch zwölfe.“
Sie wusste nicht, was das war, sie sann und sann, aber sie brachte es nicht heraus: sie schlug ihre Rätselbücher auf, aber es stand nicht darin: ihre Weisheit war zu Ende. Da sie sich nicht zu helfen wusste, befahl sie ihrer Magd in das Schlafgemach des Herrn zu schleichen, da sollte sie seine Träume behorchen, und dachte, er rede vielleicht im Schlaf und verrate das Rätsel. Aber der kluge Diener hatte sich statt des Herrn ins Bett gelegt und als die Magd heran kam, riss er ihr den Mantel ab, in den sie sich verhüllt hatte, und jagte sie hinaus.
In der zweiten Nacht schickte die Königstochter ihre Kammerjungfer, die sollte sehen, ob es ihr mit Horchen besser glückte, aber der Diener nahm auch ihr den Mantel weg, und jagte sie hinaus.
Nun glaubte der Herr, für die dritte Nacht sicher zu sein und legte sich in sein Bett, da kam die Königstochter selbst, hatte einen nebelgrauen Mantel umgetan und setzte sich neben ihn. Und als sie dachte, er schliefe und träumte, so redete sie ihn an und hoffte, er werde im Traume antworten, wie viele tun: aber er war wach und verstand und hörte alles sehr wohl. Da fragte sie „einer schlug keinen, was ist das?“ Er antwortete „ein Rabe der von einem toten und vergifteten Pferde fraß und davon starb.“ Weiter fragte sie „und schlug doch
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