- Das Haus der kalten Herzen
hingen an den Wänden. Immergrün mit weißen Rosen gespickt streckte sich über die Tafel, auf der ein gewaltiges Festessen angerichtet war.
Ein gebratener Pfau, die Schwanzfedern gefächert. Platten mit gefüllten Tauben. Kalb in Soße, gebratener Fasan, gewürzte Schweinekoteletts. Pasteten von Forelle und Hecht, ein gesprenkelter Laib Stiltonkäse. Turmhohe Kuchen, Baisers und mit Zuckerguss überzogener Blätterteig.
Ein Kammerorchester spielte Mozart im angrenzenden Raum, der zum Tanz vorgesehen war. Die Gäste ereiferten sich über die Schrecken der Französischen Revolution.
Mercy, ein Fremdkörper in Schmutz und Lumpen, wanderte ungesehen durch die Menge der Feiernden, ein abgerissenes Gespenst auf dem Fest. Die kleine Mercy in ihrem schönsten, mit rubinroten Rosen bestickten Kleid rannte durchs Haus und verfolgte ihre geliebte Chloe, die lachend zwischen den Gästen herumflitzte. Sie hüpfte die Treppen hinauf. Die Mädchen spielten Versteck. Fasziniert folgte Mercy ihrem jüngeren Selbst. Als sie die Mädchen spielen sah, wusste sie wieder, wie es sich anfühlte, eine Freundin zu haben, Erinnerungen wurden wach, es war, als würde eine dunkle Tür zu einem sonnigen Garten aufgestoßen. Mercy hatte Chloe mit Leidenschaft geliebt. Sie redeten endlos miteinander. Sie lachten zusammen, Seite an Seite. Sie verbrachten die langen Sommerabende damit, die Gärten und das Arboretum zu erkunden. Chloe war Mercys andere Hälfte. Ihr schillerndes, optimistisches Gegenstück. Ob sie je wieder eine andere Freundin haben würde, wenn ihre Anstrengungen Erfolg hatten und das Haus wieder frei wäre?
Jetzt war die kleine Mercy an der Reihe, sich zu verstecken. Sie lief davon, während Chloe vor dem Zimmer stehen blieb, sie zählte und lachte. Chloe bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, aber sie lugte zwischen den Fingern hindurch. Schließlich machte sie sich auf die Suche nach ihrer Freundin. Mercy wollte ihr gerade folgen, da hörte sie ein Klopfen an der großen Eingangstür. Mittlerweile war es spät geworden und zum Reisen zu dunkel. Sie rannte hinüber zu den hohen Fenstern. Eine kleine Kutsche mit Lichtern vorne entfernte sich vom Haus. Wer war da eben gekommen?
Unten war der festliche Trubel verstummt. Die Musiker spielten weiter, während die Frauen sich hinter ihren Fächern flüsternd in der Halle versammelten. Die Türen gingen auf. Mercy drängelte sich durch die Menge. Vor der Tür stand Claudius mit Marietta an seiner Seite, die wie eine Prinzessin das Kleid in Weiß und Perlmutt aus der russischen Kiste trug. Auf ihrem Finger steckte ein schöner goldener Ring.
Mercy schnappte nach Luft und suchte unter den Anwesenden nach ihren Eltern.
Die Versammlung gab den Weg frei, als Trajan und Thekla erschienen. Dicht hinter ihnen stand Mariettas Vater, ein hagerer, unscheinbarer Mann mit pockennarbigen Wangen. Trajan versuchte, die Gefühle zu unterdrücken, die über sein Gesicht zuckten. Wut, düstere Vorahnungen. Er sah aus, als wollte er Claudius auf der Schwelle erwürgen. Thekla schaute ihren Ehemann an und drückte seinen Arm.
»Trajan«, sagte sie leise. »Ganz ruhig. Später. Wir regeln das später.«
Trajan bezwang seine Wut. Er tat einen tiefen Atemzug.
Offensichtlich war Marietta nervös. Claudius sah jetzt besser aus, obwohl sein Haar immer noch die einzelne weiße Strähne aufwies, die schädliche Folge des schrecklichen Zaubers, mit dem er der Katze das Ka entrungen hatte. Claudius trat vor und verbeugte sich.
»Darf ich meine Gattin vorstellen«, sagte er. »Marietta Emily Verga. Wir haben heute Nachmittag in der Gemeindekirche von St. Michael und Allen Heiligen in Middleton Marsh geheiratet.«
Marietta knickste ängstlich, wobei sie sich an den Arm ihres neuen Gatten klammerte. Mercy sah ihre Eltern an. Mariettas Vater war rot angelaufen, er trat vor. Trajan hielt ihn zurück. »Warte, Frederick«, sagte er leise. »Jetzt ist es zu spät, um etwas zu tun. Das Fest soll weitergehen. Wir werden die Situation morgen bereden. Wir wollen doch nicht unsere intimsten Familienangelegenheiten vor den Gästen ausbreiten.« Thekla schaute ihren Mann an und nickte. Sie drehte sich zu Frederick um. Der presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Die Röte stieg ihm bis in die Wurzeln seines rötlichen Haares und er rieb seine großen Hände aneinander.
»Bleib ruhig«, riet Trajan, der die Hand immer noch am Ellenbogen des Mannes hielt. »Komm und trink etwas mit mir. Wir werden die
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