- Das Haus der kalten Herzen
Und dir kann ich dasselbe geben, Marietta.«
Marietta lachte ängstlich auf. Ihre Hände zitterten.
»Schau.« Er legte den Finger unter das Kinn der Katze und machte einen kleinen Riss in ihren Fellüberzug. Marietta wich zurück. Er schob den Kopf der Katze hoch und hielt sie Marietta hin, damit sie den Stoff, die Nähte, das Stück Pergament sehen konnte, welches das Ka im künstlichen Körper festhielt.
»Siehst du?«, sagte er. »Ich habe einen Körper für die Katze gebaut, der ihre ewige Seele beherbergt. Wenn nämlich der sterbliche Körper verbraucht ist, stirbt er und die Seele fliegt davon. Wenn Teile des Katzenkörpers zerbrechen oder abgenutzt sind, kann ich sie einfach ersetzen.«
Claudius erneuerte den Stoff an der Kehle des Tieres und setzte es auf den Boden. Da blieb es sitzen, leckte sich den Schwanz und benahm sich in jeder Hinsicht wie eine ganz normale Katze. Wortlos starrte Marietta das Tier an. Sie befand sich in einem tiefen Schockzustand. Am liebsten hätte Mercy sich eingemischt und Marietta aus Claudius’ Nähe und dem kalten Raum entfernt. Claudius fuhr fort.
Er ergriff Mariettas Hand. »Komm«, sagte er. »Sieh dir an, was ich für dich gemacht habe.« Er nahm den Kandelaber und führte sie in den zweiten Raum. Dort musste sie sich vor der langen Truhe neben ihn knien. Mercy betrachtete die Frischvermählten Seite an Seite, wie in einer merkwürdigen Parodie der Trauungszeremonie, die sie vor Kurzem erst vollzogen hatten. Claudius öffnete den Deckel und zog den Seidenschleier ab. Er hob den Kandelaber, damit die Kerzen ihren flackernden Schein auf den Inhalt der Truhe werfen konnten. Marietta schnappte nach Luft.
Die Puppe hatte nichts von ihrer überirdischen Schönheit verloren. Wie eine schlafende Prinzessin lag sie mit leicht geöffneten Lippen in ihrem Bett und wartete darauf, dass der Kuss des Prinzen sie wieder zum Leben erweckte. Das warme und unruhige Licht erweckte beim Betrachter den Anschein, als würde sie atmen. Ihre Engelshaut schimmerte. War das da etwa ein leichtes Erröten, das sich auf ihre Wangen stahl? Marietta konnte den Blick nicht von ihr abwenden.
»Siehst du mich so?«, fragte sie. »Bin ich so schön wie sie?«
»Viel schöner«, sagte Claudius. »Und du wirst für immer leben.«
»Du willst die Seele aus meinem Körper nehmen und sie da hineinpflanzen?«, sagte sie voll Verwunderung.
»Ja!«, erwiderte Claudius begeistert. »Ja! Heute Nacht! Alles ist bereit.«
»Und wenn ich nicht will, werde ich altern und sterben, während du jung und gesund bleibst?« Sie hockte sich hin, das weiß-silberne Kleid umfloss sie. Ihr Blick war auf das Gesicht der Puppe gerichtet. Claudius redete weiter, erklärte ihr, wie sie leben würden, welche Orte er ihr zeigen würde. Die Berge Griechenlands, die Wüstenstädte von Rajastan, die blühenden Orangenhaine der alten Heimat.
Die Worte spülten über Marietta hinweg. Sie schaute die Puppe immer noch an, ein endloser Strom von Tränen rollte ihr über die Wangen. Bemerkte Claudius ihren Kummer denn überhaupt nicht? Er drehte sich um und beschäftigte sich mit dem Gerät, das zur Transformation gebraucht wurde.
Marietta stand auf und stolperte aus dem Baum. Ohne das Licht des Kandelabers machte die Dunkelheit ihr zu schaffen … durchs Labor, raus, die pechschwarzen Korridore von Centurys Winternacht entlang … Claudius war so in seine Vorbereitungen versunken, dass er nicht bemerkte, dass sie fort war. Nach einer Weile drehte er sich um und wollte etwas sagen, geriet aus der Fassung und rief ihren Namen. Dann rannte er hinter ihr her.
»Marietta!«, rief er. »Marietta, komm zurück. Ich weiß, dass du Angst hast.«
Er lauschte auf ihre Schritte in den leeren Fluren und folgte ihnen eilig. Nach Ost, nach West hob er den Kandelaber, dessen gelbes Licht hoch aufflackerte. Er schlug die Tür zu und machte sich auf die Suche.
»Marietta, verlass mich nicht«, brüllte er. »Marietta. Komm zurück! Rede mit mir.«
Er lief davon. Es wurde still im Haus.
Da Mercy über die Gabe späterer Einsichten verfügte, wusste sie genau, wo sie Marietta finden würde. Ereignisse der Vergangenheit konnte man nicht ändern. Mercy blieb nichts anderes übrig, als zuzuschauen. Sie beeilte sich nicht.
Die Brennereiwiese, der Teich ein schwarzes Loch in einer ihrer Ecken.
Das Eis war dünn. Im Osten schickte die Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont. Ein neuer Mond stieg auf. Während Claudius und die Familie das Haus
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