Das Haus der Sonnen
Spinne.«
»Und was ist mit den Schlangen passiert?«, fragte ich altklug. »Hat die Spinne sie gefressen?«
»Das mit den Schlangen war gelogen«, sagte der Junge leichthin. »Aber das Schwarze Loch gibt es wirklich – frag den Infowürfel, wenn du mir nicht glaubst. Deine Eltern haben es unter das Haus gepflanzt, damit alles schwerer wird. Wenn es das nicht gäbe, würden wir jetzt schwerelos schweben.«
»Wie stellt die Spinne es denn an, dass alles schwerer wird?«
»Ich habe gesagt, es ist so was Ähnliches wie eine schwarze Spinne und keine richtige Spinne.« Er musterte mich mitleidig. »Ein saugender, gieriger Mund, der nie genug bekommt. Deshalb zieht er alles in seiner Umgebung an und macht, dass wir uns schwerer fühlen. Aber das ist auch der Grund, weshalb er so gefährlich ist.«
»Weil dein Vater das gesagt hat?«
»Nicht nur deswegen. Der Würfel wird dir alles erklären, wenn du ihm die richtigen Fragen stellst. Du darfst nur nicht geradewegs drauf zusteuern – du musst dich an das Thema anschleichen wie eine Katze an eine Maus. Ein Schwarzes Loch hat mal einen ganzen Planetoiden verschluckt – einen größeren als den hier. Mitsamt allem, was darauf gelebt hat. Die sind alle im Abfluss verschwunden, wie das Wasser nach dem Bad. Gluck-gluck-gluck.«
»Hier kann das nicht passieren.«
»Wenn du meinst.«
»Außerdem glaube ich dir eh nicht. Wenn das mit den Schlangen gelogen war, weshalb sollte ich dir jetzt dann glauben?«
Seine Boshaftigkeit verflüchtigte sich auf einmal. Ich hatte das Gefühl, mein Freund sei erst in diesem Moment angekommen – der spöttische, gehässige Kerl, der mich bis jetzt begleitet hatte, war nur ein Doppelgänger gewesen.
»Hast du neue Spielsachen, Abigail?«
»Ich habe immer neue Spielsachen.«
»Ich meine, irgendwas Besonderes.«
»Ja, ich hab was«, sagte ich. »Ich hab mich schon drauf gefreut, es dir zu zeigen. So was Ähnliches wie ein Puppenhaus.«
»Puppenhäuser sind was für Mädchen.«
Ich zuckte die Achseln. »Dann zeig ich’s dir eben nicht.« In seinen eigenen Worte erklärte ich: »Ich habe gesagt, es ist so was Ähnliches wie ein Puppenhaus und kein richtiges Puppenhaus. Es heißt Puppenpalast und ist eine Art Burg, über die man herrscht, und dazu gehört ein ganzes Reich. Schade; ich dachte, es würde dir gefallen. Aber wir können auch etwas anderes spielen. Entweder im Stimmungslabyrinth oder im Flugzimmer.«
Ich konnte ihn ebenso gut manipulieren wie er mich, außerdem wusste ich bereits, wie er tickte – er würde noch eine Weile Gleichgültigkeit vorschützen, während er vor Neugier auf das Puppenhaus förmlich brannte. Und seine Neugier war durchaus berechtigt, denn auf das Puppenhaus war ich besonders stolz.
Mit den Kindermädchen im Schlepptau geleitete ich den kleinen Jungen ins Spielzimmer. In dem schummrig erhellten Raum mit den verdunkelten Fenstern rollte ich Kisten und Truhen hervor und packte ein paar von den Sachen aus, mit denen wir bei seinem letzten Besuch gespielt hatten. Der Junge ließ seinen Rucksack zu Boden gleiten, öffnete die Deckklappe und packte ein paar seiner Lieblingsspielzeuge aus. Einige kannte ich schon von seinem letzten Besuch her: einen Drachen mit schuppigen Flügeln, der im Zimmer umherflog, rosafarbenes Feuer spuckte und dann auf seinem Arm landete und seinen Schwanz mehrfach darumschlang; einen Soldaten, der sich irgendwo im Zimmer versteckte, während wir die Augen geschlossen hatten – beim letzten Mal hatten wir Stunden gebraucht, um ihn zu finden. Da waren auch Murmeln, kleine Glaskugeln mit Farbschlieren darin, die auf dem Boden umherrollten und nach unseren Anweisungen Muster und Figuren bildeten. Oder sie bildeten von sich aus Figuren, die wir erraten mussten, bevor sie fertig waren. Dann waren da noch ein Puzzlebrett und eine hübsche Automatenballerina, die auf allen Körperteilen tanzen konnte, sogar auf der Fingerspitze.
Damit spielten wir, bis uns die Kindermädchen auf einem schwebenden Servierwagen Limonade und Kekse brachten. Irgendwo im Haus schlug eine Standuhr.
»Jetzt möchte ich das Puppenhaus sehen«, sagte der Junge.
»Ich dachte, das interessiert dich nicht.«
»Doch. Ehrlich.«
Und so zeigte ich ihm den Puppenpalast, führte ihn in das Zimmer-im-Zimmer, in dem ich ihn verwahrte, und obwohl ich ihm nur einen kleinen Teil der Möglichkeiten vorführte, war er ganz fasziniert davon. Ich merkte sogar, dass er neidisch darauf war. Bei seinem nächsten Besuch
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