Der falsche Mann
Prolog
Januar
Heute Nacht wird Kathy Rubinkowski etwas Schlimmes zustoßen.
Im Augenblick ist sie jedoch noch vollauf damit beschäftigt, ihren Wagen zu parken. Es ist eine ziemliche Herausforderung, den Accord in die schmale Parklücke zwischen den beiden dicken Geländewagen zu manövrieren. Doch da ein Parkplatz in der Nähe ihrer Wohnung in etwa so selten auftaucht wie der Halley’sche Komet, nimmt sie die Mühe in Kauf, ebenso wie das unvermeidliche leichte Anstoßen der benachbarten Fahrzeuge.
Bevor sie den Motor ausschaltet, blickt sie sich um. Hier oben im nördlichen Teil wird die Gehringer Street von modernen Apartmentkomplexen flankiert, dazwischen stehen vereinzelt Einfamilienhäuser, die nach und nach von Yuppie-Pärchen aufgekauft und luxussaniert werden. Es ist kurz vor zweiundzwanzig Uhr, und die Straße ist menschenleer. Die Beleuchtung ist schummrig. Leichte Nebelschwaden hängen über dem Asphalt wegen der im Tagesverlauf leicht gestiegenen Temperaturen. Es ist ein Januartag im Mittleren Westen, trotzdem ist das Thermometer an diesem Nachmittag auf fünf Grad plus geklettert.
Sie atmet aus und streckt sich. Sie ist hundemüde. Acht Stunden lang hat sie Frachtbriefe und Transportrechnungen geprüft, gefolgt von vier Stunden anorganischer Chemie, in denen sie aufmerksam Professor Dylans monotonen Ausführungen über Molekülorbitaltheorie gelauscht hat. Das schlaucht.
Sie schnappt sich ihren Rucksack vom Beifahrersitz und schlüpft aus dem Wagen. In der letzten Stunde ist die Temperatur deutlich gefallen, als hätte die Stadt sich plötzlich daran erinnert, dass Winter ist. Erneut mustert Kathy ihre Umgebung. Alles scheint in Ordnung. Sie geht um den Wagen herum zum Kofferraum, lässt ihn aufschnappen und holt ihre Sporttasche heraus. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, heute Abend im Fitnessraum der Universität noch ein wenig zu trainieren, aber irgendwie fehlte ihr dann doch die nötige Energie. Vielleicht rennt sie später noch zwanzig Minuten auf ihrem Laufband, auch wenn sie das eher bezweifelt.
Sie bezweifelt es deshalb, weil sie noch etwas anderes erledigen muss. Es ist kein Auftrag für die Arbeit. Auch kein Auftrag für die Uni. Es ist überhaupt kein Auftrag. Sondern etwas, das ihr keine Ruhe lässt. Vielleicht völlig grundlos, aber je mehr sie darüber nachdenkt …
Sie schließt den Kofferraum. Ein leises Keuchen entfährt ihrem Mund, und sie stolpert rückwärts gegen den Kühlergrill des Geländewagens hinter ihr. Noch vor wenigen Augenblicken war keiner auf der Straße. Jetzt ist da jemand. Sie holt tief Luft.
» Tut mir leid«, entschuldigt sie sich für ihre heftige Reaktion. » Sie haben mich erschreckt.«
Keine fünf Sekunden später dringt eine Kugel exakt zwischen ihren Augen in ihren Schädel ein. Sie durchbohrt ihn in gerader Linie, zerschmettert das Keilbein, das Siebbein, die Orbitalplatten und bleibt schließlich im Stammhirn stecken. Das Projektil erzeugt eine Schockwelle, die sich durch das übrige Gehirn fortpflanzt und für den sofortigen Verlust des Bewusstseins sorgt. Kurz bevor es endgültig erlischt, erinnert sich Kathy daran, dass morgen ihr vierundzwanzigster Geburtstag ist.
Sie bricht tot auf der Straße zusammen. Blut strömt aus Nase und Mund, hinausgepumpt von einem Herzen, das noch nicht bemerkt hat, dass es eigentlich zu schlagen aufhören sollte. Ihre erlöschenden Augen sehen nicht mehr, wie ihr der Mann die Handtasche vom Arm zieht, das Handy aus der Gürteltasche nimmt und die Halskette herunterreißt.
Sie hört seine auf dem Asphalt widerhallenden Schritte nicht mehr, mit denen er sich hastig von ihrem leblosen Körper entfernt.
***
Detective Frank Danilo spähte durch die einseitig verspiegelte Glaswand. Der Verdächtige redete mit sich selbst, seine Lippen bewegten sich pausenlos, und obwohl er die Hände zu leichten Fäusten geballt hatte, zuckten seine Finger.
Die Fingerabdrücke, die man ihm bei seiner Einlieferung abgenommen hatte, stimmten mit denen eines gewissen Thomas David Stoller überein. Alter siebenundzwanzig. Ehemals bei den Army Rangers, vor dreiundzwanzig Monaten entlassen. Offiziell wohnte Stoller im Van Hart Way, nächtigte aber seinem Äußeren nach zu schließen wohl eher im Park.
» Er quasselt ununterbrochen.« Detective Mona Gregus nippte an ihrem Kaffee. » Aber ich versteh kein verdammtes Wort.«
» Weil er so nuschelt oder weil er Unsinn redet?«
Gregus schüttelte den Kopf. » Vermutlich beides.«
»
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