Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
Vom Netzwerk:
friedlichen Atmosphäre der Whitten-Bucht. Erst wenn man weiter hinausschwamm, erkannte man, wie verzweigt der See war und wie weit er sich nach Westen und Süden erstreckte, in Regionen, die man von Sophies abgeschiedenem Uferstück aus gar nicht sehen konnte.
    Von der ganzen Gegend um Colby war diese Ecke am schwächsten besiedelt. Vor langer Zeit war die Stonegate-Farm ein florierender Molkereibetrieb gewesen, aber seit vierzig Jahren grasten auf den weitläufigen Wiesen keine Kühe mehr. Sie hatte das Anwesen vom letzten versoffenen Sohn von Peggy Niles gekauft, der offenbar überglücklich war, es loszuwerden. Sie hatte nicht lange gebraucht, um den Grund in Erfahrung zu bringen. Wer wollte schon an den Tatort eines berüchtigten Mordes gefesselt sein?
    Andererseits war die Niles-Familie kein besonders feinfühliger Haufen gewesen, wenn sie ihrer Freundin Marge Averill glauben durfte. Der Mann war davongelaufen, die versoffenen Söhne hatten ihre Mutter schamlos ausgenutzt, indem sie die Einrichtung des Hofes, dessen Zimmer sie an Sommerfrischler vermietete, stückchenweise verscherbelt hatten. Und bis zu den Morden hatte der Gasthof tatsächlich genug abgeworfen, um davon zu leben.
    Es wollte einem nicht recht in den Kopf, dass dieser perfekte Ort in New England der Schauplatz einer derartigen Untat gewesen sein sollte, aber Sophie war nicht so naiv: Jedes alte Städtchen mit einer langen Geschichte hatte ähnliche Horrorstorys zu bieten, und die Northeast-Kingdom-Morde waren darunter bei weitem nicht die schillerndsten. Natürlich war es eine Tragödie, dass hier drei Mädchen ermordet worden waren, aber man hatte den Fall aufgeklärt: Ein jugendlicher Herumtreiber, der offenbar unter Drogen gestanden hatte, war verurteilt und ins Gefängnis gesteckt worden. Wenn einige der Eltern heute, zwanzig Jahre später, noch immer um ihre Töchter trauerten, dann war das völlig normal: Schon der Gedanke, Marty zu verlieren, versetzte Sophie in hilflose Panik – ganz gleich, wie sehr sich ihre Halbschwester derzeit um Unausstehlichkeit bemühte –, und wenn solche Schreckensvisionen Wirklichkeit wurden, musste das noch um Klassen schlimmer sein.
    Aber Colby war darüber hinweggekommen, und es spielte keine Rolle mehr, dass eines der Mädchen unten am See gefunden worden war und die beiden anderen ganz in der Nähe oder dass alle drei bei Peggy Niles im Gasthaus gejobbt hatten. Doc mit seinem makabren Humor hatte Sophie sogar vorgeschlagen, aus der dunklen Geschichte des Hofes Kapital zu schlagen und ihn als Spukhaus zu bewerben.
    Das kam für sie überhaupt nicht infrage, schon gar nicht in so einer kleinen Stadt. Und Doc Henley hatte es nicht ernst gemeint. Er war der Inbegriff des netten, altmodischen Arztes für Allgemeinmedizin: Er hatte die halbe Stadt zur Welt gebracht, einschließlich der drei ermordeten Teenager, und für eine ganze Reihe von Mitbürgern den Totenschein ausgestellt, als ihre Zeit abgelaufen war.
    Sophie setzte sich auf einen der Adirondack-Stühle, legte die Füße auf einen großen Stein und ließ die Stille der Natur auf sich wirken. Gleich würde dieses schwer greifbare Gefühl des inneren Friedens sich ihrer bemächtigen.
    Aber irgendetwas stimmte nicht.
    Sie hörte das Auto auf dem Kiesweg. Inzwischen war sie mit der Geräuschkulisse von Vermont so vertraut, dass sie den unregelmäßigen Rhythmus von Marge Averills in die Jahre gekommenem Saab gleich erkannte. Sie winkte träge zu ihr hinüber und machte sich nicht die Mühe aufzustehen. Marge war eine freundliche Dame mittleren Alters, die unter ihrer gemütlichen Fülligkeit einen kräftigen Schuss Skrupellosigkeit verbarg. Seit sie ihr das alte Anwesen der Niles verkauft hatte, kümmerte sie sich rührend um Sophie, was in dieser den Verdacht weckte, dass sie einen viel zu hohen Kaufpreis akzeptiert hatte.
    „Ein herrlicher Morgen!“ Mit gewohnt zielstrebigem Schritt kam sie zum Ufer herunter. „Wie geht es deiner Mutter?“
    „Gut“, antwortete Sophie. Um diese Jahreszeit hatten Makler immer besonders viel zu tun, und wenn Marge ihr einen Besuch abstattete, musste sie einen verdammt guten Grund haben. „Was führt dich her?“
    „Es wird dir nicht gefallen“, sagte Marge unumwunden. Sie ließ sich in einen der leeren Stühle fallen und strich sich das graue Haar aus dem rötlichen Gesicht.
    Sophie stöhnte. „Was hat Marty jetzt wieder ausgefressen?“
    „Absolut nichts, soviel ich weiß“, erwiderte Marge, ohne sich aus

Weitere Kostenlose Bücher