Das Haus der toten Mädchen
dem Konzept bringen zu lassen. „Nein, ich fürchte,
ich
habe etwas ausgefressen. Ich habe das Whitten-Haus vermietet.“
Sophie drehte sich um und blickte mit zusammengekniffenen Augen über die flache, sonnenbeschienene Bucht. Das alte Haus wirkte nicht mehr verlassen. Die Fensterläden standen offen, und auch die Haustür war auf. Allerdings konnte man weder ein Auto noch eine Menschenseele sehen.
„Verflixt.“
„Du darfst mir das nicht verübeln. Seit einem halben Dutzend Jahren hat sich niemand für die Bude interessiert, und dann rufen plötzlich die Anwälte an, die den Besitz verwalten, und erzählen mir, sie hätten einen Mieter gefunden, der eventuell sogar kaufen will. Ich konnte ja schlecht behaupten, du hättest mehr geboten, ohne mit dir zu reden, und so hatte ich keine Chance, den Typen von hier fern zu halten.“
„Ich bin im Moment einfach nicht in der Lage, das Cottage zu kaufen, wie du sehr gut weißt“, entgegnete Sophie. Der dritte Muffin lag ihr wie ein Stein im Magen. „Alles, was ich hatte, ist in die Stonegate-Farm geflossen.“
„Hör mal, wahrscheinlich wird er es sich ohnehin anders überlegen. Niemand hat es länger als ein paar Wochen im Whitten-Haus ausgehalten, und warum sollte es diesem Mann anders ergehen? Hab Geduld. Er wird von den Morden erfahren und das Weite suchen.“
„Ich
habe nicht das Weite gesucht.“
„Wir beide wissen doch, dass Frauen viel härter im Nehmen sind als Männer“, meinte Marge verschwörerisch. Von der Sonne geblendet, blinzelte sie zum alten Haus hinüber. „Man kann das Whitten-Haus von deinem Grundstück aus so gut wie gar nicht sehen – nur wenn man hier unten am Wasser ist. Außerdem schaut er, gelinde gesagt, gar nicht schlecht aus. Wir bekommen hier nämlich nicht so viele ledige Männer über dreißig zu Gesicht.“
Sophie folgte ihrem Blick. Jetzt bemerkte sie, wie sich neben dem Haus jemand im grellen Sonnenlicht bewegte, aber auf diese Entfernung konnte sie sein Aussehen nicht beurteilen. Außerdem war er ihr Feind. Sie wollte das Whitten-Haus, fast noch mehr, als sie die Stonegate-Farm gewollt hatte. Sie hatte geplant, das ganze Nordufer des Still Lake in eine Enklave der Ruhe zu verwandeln, in der sich Körper und Seele regenerieren konnten. Sie wollte keinen Fremden zum Nachbarn, der ihre Pläne durchkreuzte. Sie wollte vor allem keinen angeblich gut aussehenden männlichen Fremden – nicht, solange sie eine leicht zu beeindruckende kleine Schwester zu hüten hatte.
Sie wandte sich wieder Marge zu und runzelte die Stirn. „Was weißt du über ihn?“
„Angeblich heißt er John Smith, ob du’s glaubst oder nicht. Irgendjemand hat die Vermutung geäußert, dass er ein Computer-Spezi ist, der hier eine kleine Firma aufmachen möchte. Andere meinen, er könnte so eine Art Finanzberater sein. Er dürfte höchstens sechs Monate durchhalten. Niemand kann sich hier lange halten, wenn er nicht stinkreich ist.“
„Ich habe genau das vor.“
„Das ist etwas anderes“, erwiderte Marge unbekümmert. „Du lebst vom Tourismus, genau wie ich. Wenn Mr. Smith Tischler oder Klempner wäre, sähe es natürlich anders aus. Obwohl wir hier in der Gegend genügend Tischler haben. Wie auch immer, ich wollte dich vorwarnen, damit du nicht ahnungslos hinüberspazierst. Er hat es für ein Jahr gemietet und sich das Vorkaufsrecht gesichert, aber ich wette, er ist weg, sobald der erste Schnee fällt. Oder sobald er von den Morden erfährt.“
Er war hinter dem alten Haus verschwunden, und Sophie guckte ihm versonnen nach. „Vielleicht“, meinte sie. „Aber vielleicht weiß er es bereits.“
„Was willst du damit sagen?“
Sophie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es ist doch komisch, dass er sich an dieser Seite des Sees einmietet, wo doch am Südufer ein paar gute Häuser zu haben sind, wie du mir erzählt hast. Auch welche, die nicht jahrelang leer gestanden haben. Warum sollte jemand unbesehen ein derart heruntergekommenes Cottage anmieten wollen?“
„Gute Frage, aber mich interessiert nur der Scheck“, antwortete Marge. Sie stand auf und zupfte ein Blatt von ihrer Twillhose. „Weißt du was? Ich werde mal ein paar Erkundigungen über ihn einholen. Eigentlich ist er mir zu jung, aber von Lappalien wie ein oder zwei Jahrzehnten Altersunterschied lasse ich mich nicht abschrecken, und ich habe allmählich keine Lust mehr, alleine zu schlafen. Es sei denn, du hast ein Auge auf ihn geworfen.“
„Nein“, gab Sophie
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