Das Haus des Windes
Mooshums Bruder Severine, der eine kurze Zeit in dieser Kirche Priester gewesen war, in einer mit weiß getünchten Ziegeln abgetrennten Grabstelle. Auch einer der drei, die in Hoopdance gelyncht worden waren, lag hier begraben – sie hatten die Leiche des Jungen angenommen, weil er erst dreizehn gewesen war. So alt wie ich. Und dann erhängt. Mooshum erinnerte sich noch daran. Mooshums Bruder Shamengwa, dessen Name Monarchfalter bedeutete, war hier begraben. An Mooshums erste Frau,neben der er selbst einmal liegen würde, erinnerte ein Grabstein, der von feinen grauen Flechten überzogen war. Seine Mutter lag dort, die zehn Jahre lang kein Wort gesprochen hatte, nachdem sein Bruder als Baby gestorben war. Und die Familie meines Vaters war auch da, die meiner Großmutter und die Familie ihrer Mutter, aus der einige konvertiert waren. Die Männer lagen weiter westlich, bei den Traditionellen. Sie verschwanden allmählich in der Erde. Man hatte kleine Häuser auf ihren Gräbern gebaut, um ihre Seelen zu schützen und zu nähren, aber die hatten sich vor allem anderen in nichts aufgelöst. Von Mooshum und meinen Eltern hatte ich die Namen meiner Vorfahren gehört.
Shawanobinesiik, Elizabeth, Südlicher Donnervogel. Adik, Michael, Karibu. Kwiingwa’aage, Joseph, Vielfraß. Mashkiki, Mary, Die Medizin. Ombaashi, Albert, Vom-Wind-gehoben. Makoons, Kleiner Bär. Und Vogel-der-Eis-von-den-Flügeln-schüttelt. Sie lebten und starben zu schnell in jenen Jahren um die Gründung des Reservats herum. Starben, bevor sie verzeichnet werden konnten, und in so schmerzhaft großer Zahl, dass man sich kaum an sie alle erinnern konnte, ohne zu sagen, was mein Vater manchmal murmelte, wenn er sich mit Regionalgeschichte befasste: Und der weiße Mann kam und trieb sie in die Erde hinab. Was wie eine Prophezeiung aus dem Alten Testament klang, aber bloß eine Beobachtung war. Meine Angst davor, nachts den Friedhof zu betreten, war also keine Furcht vor meinen liebenden Vorfahren, die hier begraben lagen, sondern vor dem Schlag in die Magengrube, der mich erwartete – unserer Geschichte. Der alte Friedhof damit angefüllt.
Um hinten herum zum Friedhof zu gelangen, mussten wir an dem Haus einer alten Dame vorbei, die Hunde hielt. Man wusste nie, wie viele und was für welche. Sie fütterte die Reservatsstreuner. Deshalb war ihr Haus unberechenbar, und wir machten immer einen Bogen darum. Auf dem Weg dorthin bereitetenwir uns vor. Cappy hatte seine Pfefferdose. Ich schnappte mir einen dicken Stock und dachte daran, wie Pearl das hasste und warum. Angus riss sich ein paar Weidenruten als Peitsche ab. Wir entwarfen einen Schlachtplan und beschlossen, dass ich mit dem Knüppel vorangehen sollte und Cappy mit dem Pfeffer die Nachhut bilden würde. Die Frau hieß Bineshi und war genauso winzig und verhutzelt wie ihr klappriges Häuschen. Im Garten standen zwei Autowracks, in denen die Hunde schliefen. Wir dachten, wir könnten es schaffen, wenn wir schnell genug vorbeirasten. Aber sobald wir in den Weg einbogen, der an ihrem Grundstück entlangführte, sprangen die Hunde aus den Autos. Zwei waren grau und kurzbeinig, drei waren groß, einer riesig. Sie zischten auf uns los und kläfften bösartig. Ein kleiner grauer schnellte voran und packte Angus am Hosenbein. Routiniert verpasste Angus ihm einen Tritt, zog ihm die Peitsche über die Schnauze und radelte weiter.
Die riechen deine Angst, schrie Cappy. Wir lachten.
Die Hunde wurden jetzt mutiger, wie es oft passierte, wenn einer den Anfang machte. Angus stieß einen grässlichen Schrei aus. Ein dreckiger, weißlicher Hund wollte auf seinen Arm los, und er ließ die Peitsche fallen und verpasste ihm einen Fausthieb auf die Schnauze. Der Hund zog sich nicht wimmernd zurück, sondern sprang noch einmal. Angus verpasste ihm wieder eine, aber als der Hund sich wand, landete er mit dem Kopf auf Angus’ Bein und riss ihm die Hose auf.
Schafft ihn mir vom Hals!
Cappy machte kehrt. Staub wirbelte auf. Er ließ seine Füße auf dem Boden schleifen und hielt direkt neben Angus, die offene Pfefferdose in der Hand. Er nahm eine Handvoll und warf sie dem Hund ins Gesicht. Der winselte und verschwand. Aber die anderen hatten uns jetzt eingekreist und heulten mit angelegten Ohren nach Blut. Sie schnappten und knirschten mit den Zähnen wie Festlandhaie. Wir konnten schlecht die Fahrräder fallen lassen und rennen; dann hätten wir sie später wieder holenmüssen. Die Hunde waren sowieso flinker und
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