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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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wieder in seine Gewalt. »Er hat meine Wahlmutter Queenie Tashina jenseits der Grenze unserer Reservation überfallen und mißhandeln lassen; sie starb in den Händen der Killer, unter den Augen ihrer kleinen Kinder. Sie hat sich gewehrt, meine kleinen Geschwister konnten flüchten. Die Tote haben die Killer verschleppt und verscharrt. Aber eines Tages werde ich sie finden. Meine jüngeren Geschwister leben jetzt verstreut bei Freunden. Mein großer Bruder Wakiya-knaskiya ist in Kalifornien und hilft einem Manne, der das Recht der Indianer vertritt. Ich bin allein.«
    »Nicht mehr«, antwortete Untschida. »Du weißt, wir bleiben bei dir, wenn wir dir nicht zur Last sind.«
    »Ihr kommt mit mir, wie es beschlossen ist. Wir wollen Gerechtigkeit für alle Indianer, und den Verräter und Mordhäuptling in unserem Stamm werden wir nicht länger dulden.«
    Die vier Lebenden machten sich mit dem Toten auf den Weg.
    Sie mußten sich fühlen wie gejagtes Wild. Jeder kleine Zwischenfall, jede Kontrolle, aus welchem nichtigen Anlaß immer, konnte sie dem Verdacht ausliefern, selbst Mörder zu sein. Im Wagen ein Erschossener, der nicht gemeldet war, im Wagen die Mordwaffe – dazu vier Indianer, ein Reservationsindianer als Tramp, drei Slumbewohner ohne Gepäck. Eine Begegnung mit der Polizei konnte nur ein einziges Ergebnis haben: Todesurteile, Zuchthausurteile.
    Hanska fuhr trotzdem mit unerlaubter Geschwindigkeit. Er konnte mit einem Toten nicht unterwegs sein, bis der Körper in Verwesung überging, und je länger die Fahrt dauerte, desto größer wurden die Gefahren unerwünschter Zufälle.
    Ite-ska-wih verstand das, ohne daß Worte darüber gemacht wurden. Auch war sie keinen verschwommenen Gefühlen zugänglich. Sie mußte alles, was um sie war und geschah, mit genauester Aufmerksamkeit in sich aufnehmen, denn es ging um Leben und Tod, und wenn das Leben siegte, ging es um seinen Inhalt für alle Zukunft. Nicht mehr lange würde sie Inya-he-yukan Stonehorn sehen können; sie nahm ihre Wahrnehmungen tief in sich hinein bis in jene Region der Seele, in der sie unauslöschlich werden. Der Körper des Toten lehnte zurück, der Kopf lag etwas zur Seite. Ite-ska-wih schaute wieder und immer wieder den Häuptling der Prärie, wie sie ihn zum erstenmal in ihrem Leben gesehen hatte und jetzt zum letzten Male sah. Im vorübergleitenden Licht der Scheinwerfer entgegenkommender Wagen wurde das fahle Antlitz wie ein Steinbild sichtbar, das gequälte, standhaft gebliebene, kühne, von hohem Verstand geformte Gesicht, der zynische Zug, der Leidenschaft, Liebe, Haß, Enttäuschung ein Leben lang unter die Maske der Selbstbeherrschung gezwungen hatte. Ite-ska-wih schaute auch nach Hanska am Steuer. Er war nicht Inya-he-yukans Sohn, er war sein Wahlsohn und doch oder eben darum ihm gleich und ungleich. Jünger war er, bitter schon und tief traurig, aber auch voller Kraft und ungebrochener Zuversicht. Er besaß Mut und Klugheit, Stolz und Hilfsbereitschaft; ein echter Dakota war er, groß, schlank, scharfgesichtig. Ite-ska-wih fühlte, wie die Liebe zu Hanska sie ansprang, sie mit Heftigkeit ergriff, so wie ein junger Berglöwe zupackt. Inya-he-yukan und Hanska wurden eins für sie; sie konnte sie nicht mehr trennen. Sie dachte Hanska unter dem Namen Inya-he-yukans. Nichts konnte er von ihrer Liebe wissen; vielleicht würde er niemals davon erfahren, aber sie konnte auch niemals mehr davon lassen, das war gewiß. Sie durfte jetzt mit ihm gehen. Er hatte kein Tipi, aber er vertraute ihr, das war ihr Tipi. Sie würde sein Geheimnis um Inya-he-yukan teilen und mit ihm ohne Aufhören um Inya-he-yukan trauern und seinen Willen erfüllen. Sie hatte keine Angst. Woher sollte Angst kommen in dieser Stunde? Das Entschiedene mußte getan werden.
    Hanska war vielleicht nicht älter als Ray. In Großvaterzeiten hätte er aber schon an der Büffeljagd teilgenommen, er war ein Mann.
    Gegen Morgen geschah es dann. Ein entgegenkommender Polizeiwagen hielt und gab das Stoppzeichen für den Jaguar. Einer der beiden Beamten kam herüber. Hanskas Falkenaugen hatten die Polizei im flachen Gelände längst erspäht. Er war auf die zugelassene Geschwindigkeit heruntergegangen und hatte Ite-ska-wih zugewinkt, sie möge Ray das Zeichen geben, den Kofferraum zu schließen. Er selbst hatte dem Toten die Decke ins Gesicht heraufgezogen. Auf das Polizeizeichen hin hatte er sofort gehalten.
    »Euer Wagen?« fragte der Polizeibeamte. Er mochte sich nicht wenig wundern,

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