Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
mitgenommen hat, habe ich die Künste kennen und schlussendlich auch lieben gelernt – und nicht zuletzt darüber viele spannende Bekanntschaften geschlossen. Wenn wir die Menschen nicht hinführen zu den Dingen der Bildung, werden die allermeisten nie etwas von der Vielfalt und dem kulturellen Reichtum der Welt mitbekommen. Darum bin ich auch so ein starker Befürworter des Prinzips der humanistischen Bildung an den höheren Schulen. Würden wir uns in der Pädagogik davon ganz abwenden und an unseren Schulen nur mehr zweckdienliche Fächer unterrichten, brächten wir unsere Jugend um vieles. Wenn jedes Fach, jeder Lerninhalt immer nur allein damit gerechtfertigt würde, dass er eine unmittelbare Anwendbarkeit hat, dann wäre das ein allzu verkürzt gedachtes Modell von Schule. Über die humanistische Bildung werden den jungen Menschen auf einfache Weise Zusammenhänge klargemacht, die sie später ausbauen können. Durch die intensive Beschäftigung mit alten Sprachen und der Geisteshaltung, die hinter zentralen Texten der Antike steckt, wird ihnen etwas vermittelt, das sie irgendwann einmal wiederhervorholen und zu neuen, welthaltigen Verknüpfungen nutzen können. In England ist es nicht umsonst Sitte, dass angehende Banker eben nicht, was naheliegend wäre, nur Betriebswirtschaftslehre studieren, sondern allgemeinbildende Fächer dazu wählen. Das zweckdienliche Denken lernen wir alle früh genug. Für einen Reichtum an Ideen bedarf es weit mehr.
Unser Denken und Handeln wird von vier verschiedenen Faktoren beeinflusst. Da ist zunächst unsere Wahrnehmung, auf die eine Vielzahl verbreiteter Redensarten Bezug nimmt. Wir behalten etwa eine Sache im Auge, manchmal drücken wir auch ein Auge zu. Je länger wir vor einer Sache die Augen verschließen, desto eher fällt es uns irgendwann wie Schuppen von den Augen. Und gewiss wird sich niemand auf etwas verlassen, das er nur vom Hörensagen kennt. Dann schon lieber auf seinen guten Riecher. Zumindest sollte ich merken, wenn eine Sache zum Himmel stinkt.
Dass es so unendlich viele Redensarten rund ums Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken gibt, zeigt aber nicht nur, wie wichtig für uns das Zeugnis unserer Sinne ist. Die obigen Beispiele zeigen auch, dass wir eigentlich Ahnungen und Gefühle meinen, wenn wir von Auge, Ohr, Nase oder Haut sprechen. Sehen oder hören wir doch im Grunde mit dem Gehirn, das sämtliche eingehenden „Daten“ verarbeitet, ohne dass es uns zunächst überhaupt bewusst würde. Im Gegenteil: Was unsere Sinnesorgane empfangen, überschreitet so gut wie nie unsere psychischen Wahrnehmungsschwellen. Denn unser sogenanntes sensorisches Gedächtnis vergisst extrem schnell. Was ich bewusst „höre“ oder „sehe“, ist im Grunde schon ein gedankliches Konstrukt, das mein Gehirn aus einem winzigen Teilbereich der eingegangenen Reize zusammengesetzt hat. Ein Konstrukt, das zudem rasch auf den Prüfstand meiner Wahrnehmungsgewohnheiten, Erfahrungen, Denkweisen oder Vorurteile kommt. Was wiederum dazu führt, dass Menschen ungewohnte Eindrücke nicht selten auch für trügerisch oder unwichtig halten – und beiseite schieben.
Wir wären wohl reine Gewohnheitstiere, hätte unsere sinnliche Erfahrung nicht zwei alternative Routen zur Auswahl, um den geraden Weg vom Wahrnehmen zum Meinen manchmal umgehen zu können: eine extreme Abkürzung und einen mühseligen, aber lohnenden Umweg. Die Abkürzung, das ist die Emotion, das, was wir auch als „Bauchgefühl“ bezeichnen. Der Umweg, das ist das gründliche Nachdenken.
Verstand und Gefühl werden hirnphysiologisch an verschiedenen Stellen verarbeitet. Schließlich hätten wir als Gattung kaum überlebt, wenn unsere frühen Vorfahren in jeder kritischen Situation erst gründlich überlegt oder ausdiskutiert hätten, ob Gefahr droht oder nicht. Ein Großteil unserer Emotionen wird über das limbische System gesteuert, dessen Zentren zu den evolutionär ältesten Teilen unseres Großhirns gehören. Unser rationales Denken, dem seinerseits eine höchst komplexe „Zusammenarbeit“ von Gedächtnis und logisch-abstrakter Symbolverarbeitung zugrunde liegt, sowie unsere sensorischen und motorischen Fähigkeiten hängen dagegen an verschiedenen „jüngeren“ Teilen der Großhirnrinde.
Zwei Strukturen des limbischen Systems – der Amygdala als „Frühwarnsystem“ und dem Nucleus Accumbens als „Belohnungsorgan“ unseres Gehirns – kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie steuern unsere
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