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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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schaltet ihn aus. »Ich geh jetzt schlafen.«
    Ich kratze mich am Bart.
    »Ist es nicht anstrengend, immer alles genau andersherum zu machen als der Rest der Welt?«, frage ich.
    »Es geht«, sagt das Känguru und legt sich wieder in seine Hängematte. »Guten Tag.«

Wir laufen quer über den Alexanderplatz. Vorbei an einem Grillwalker, einem Verrückten mit einem Infostand und ein paar Freaks, die sich als Statuen verkleidet haben, sogenannte Dastehende Künstler. Das Känguru grüßt einen Typen, der alte Sowjet-Accessoires verkauft. Wir sind schon fast an der Weltzeituhr vorbei, da winkt uns ein Mann zu sich.
    »Can you please take a picture from us?«, fragt er lächelnd in wackeligem Englisch und zeigt auf sich und seine Familie.
    »Yeah. Why not …«, sagt das Känguru schulterzuckend. »You look funny.«
    Es holt eine Wegwerfkamera aus seinem Beutel, knipst und steckt sie wieder ein.
    »No! No!«, sagt der Mann. »With my camera!«
    »Ach …«, das Känguru seufzt. »Nee …«
    »Na komm schon«, sage ich.
    Das Känguru schüttelt seinen Kopf.
    »I can do it«, biete ich dem noch immer lächelnden Mann an. Er nickt, und ich nehme die Kamera.
    KNIPS.
    »Okay?«, frage ich.
    Der Mann blickt kritisch auf das kleine Display.
    »No! With the TV-Tower please.«
    »Okay«, sage ich.
    Knips.
    »Okay?«
    »No! The whole tower please.«
    »That is impossible! It is too big!«
    »No! You go back please.«
    Ich gehe zehn Schritte zurück.
    »No. No. You go more back.«
    Ich seufze und lasse die Kamera sinken.
    »I can do it«, sagt das Känguru.
    Der Mann nickt.
    Das Känguru hüpft back, more back, much more back … Schließlich hüpft es um eine Straßenecke und ist verschwunden. Die Familie lächelt immer noch fürs Foto. Nach ein paar Sekunden hört der Vater auf zu lächeln.
    »Will it come back?«, fragt er. »The kangaroo?«
    »Also …«, sage ich. »Nach umfassenden Studien meinerseits zum Verhalten dieses Beuteltieres würde ich die Chancen für das Eintreffen des von Ihnen angefragten Ereignisses als gegen null tendierend einstufen.«
    »What?«
    »I don’t think so.«
    Eine halbe Stunde später finde ich das Känguru wieder. Es prügelt sich vor dem Marx-Engels-Denkmal mit einer lebenden Statue. Kurz überlege ich, ob ich schlichtend eingreifen oder das Ganze lieber, wie alle anderen Umstehenden auch, mit meiner Handykamera filmen soll.
    »Hey, hey, hey!«, rufe ich schließlich und gehe dazwischen. »Was soll das denn?«
    »Schiller hat angefangen«, schimpft das Känguru.
    »Ich bin nicht Schiller«, sagt die Statue aufgebracht. »Ich bin Goethe!«
    »Locker bleiben, Friedrich«, sagt das Känguru.
    »Ich bin nicht Schiller«, ruft die Statue.
    »Nicht aufregen«, sage ich. »Alle Menschen werden Brüder und so weiter.«
    »Ich bin nicht Schiller«, schreit die Statue.
    Das Känguru holt die Kamera des Touristen aus seinem Beutel und macht ein Foto von der Statue. Ich werfe dem aufgebrachten Schiller eine Münze in seine Mütze und schiebe das Känguru weg.
    »Die Aktion vorhin war witzig, was?«, fragt es und hält die Kamera in die Höhe.
    »Nun ja«, sage ich. »Ich hab so getan, als ob ich dich nicht kenne. Mache ich öfter.«
    Das Känguru stibitzt dem Grillwalker im Vorübergehen ein Würstchen vom Grill. Ich mache einen Schritt zur Seite, deute auf das Känguru und sage: »Kenne ich nicht.«
    »Komm. Ich zeig dir was noch Witzigeres«, sagt das Känguru.
    Es hüpft auf einen Passanten zu und reicht ihm die Kamera.
    »Can you please take a picture from us?«, fragt es.
    Der Mann nickt und nimmt die Kamera.
    »Lauf!«, flüstert mir das Känguru zu und hüpft los. Ich renne hinterher, und wir verschwinden schnell um zwei Straßenecken.
    »Das verwirrt die Leute immer total«, sagt das Känguru fröhlich.
    »Das glaube ich«, sage ich und ringe nach Atem. »Und was machen wir jetzt?«
    Das Känguru holt ein Dutzend billiger Fahrradschlösser aus seinem Beutel. »Jetzt gehen wir zum Alexa-Shopping-Center, schließen fremde Fahrräder fest und setzen uns mit einem Coffee-to-go auf die andere Straßenseite.«
    »Das hört sich doch nach ’nem Plan an«, sage ich.
    »Du musst den Kaffee bezahlen.«

Ich sitze vor meinem Manuskript. Es muss ein letztes Mal überarbeitet werden.
    Ich habe ein Buch geschrieben über einen Künstler 2 , in dessen Wohnung ein kommunistisches Känguru einzieht.
    Manche Autoren behaupten ja, ihre Geschichten seien vollkommen fiktiv und würden weder von ihnen selbst noch von

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