Das Karpathenschloß
er den von den wunderbaren Apparaten wiedergegebenen Gesängen lauschen. Er hörte aber la Stilla nicht nur, als ob er in seiner gewohnten Loge säße, sondern – und das erscheint fast ganz unbegreiflich – er sah sie auch so, wie er sie lebend vor Augen gehabt hatte.
Das lief nur auf ein optisches Kunststück hinaus.
Der Baron von Gortz hatte, wie uns bekannt, ein vorzügliches Gemälde der Sängerin erworben. Dieses Porträt stellte sie im weißen Gewande der Angelica aus »Orlando« und mit lang aufgelöstem Haare dar. Durch große Spiegelscheiben, die in einem von Orfanik berechneten Winkel festgehalten wurden, erschien la Stilla, sobald eine starke Lichtquelle das vor einem Spiegel aufgestellte Bild erhellte, durch Rückstrahlung so »leibhaftig«, wie im vollen Leben und ganzen Glanze ihrer Schönheit. Mit Hilfe dieses Apparats, der in jener Nacht nach der Bastion geschafft worden war, wo Rudolph von Gortz die Erscheinung der Künstlerin hervorgerufen hatte, versuchte der Burgherr, wir wissen, mit welchem Erfolge, Franz von Telek zu sich heranzulocken; Dank dem nämlichen Apparate hatte der junge Graf la Stilla im Saale des Wartthurms wiedergesehen, während ihr fanatischer Bewunderer ihrer Stimme und ihren Liedern voller Entzücken lauschte.
Das sind kurz gefaßt die Aufklärungen, die Orfanik im Laufe der Untersuchung weit eingehender gab. Wir müssen jedoch hinzufügen, daß er sich mit großem Stolze als Urheber dieser genialen Erfindungen brüstete, die er allein so ungeheuer weit vervollkommnet habe.
Gab nun Orfanik hiermit die materielle Erklärung der verschiedenen Erscheinungen oder vielmehr jener »Tries«, um das dafür eingeführte Wort zu gebrauchen, so erklärte sich daraus noch nicht, warum der Baron von Gortz vor der Explosion nicht Zeit gefunden hatte, sich durch den Tunnel nach dem Vulkanrücken in Sicherheit zu bringen. Als Orfanik dann aber erfuhr, daß eine Gewehrkugel den Gegenstand, den Rudolph von Gortz damals in den Armen trug, zerschmettert habe, da durchschaute er sofort den Zusammenhang. Jener Gegenstand war der phonographische Apparat gewesen, der den letzten Gesang la Stilla’s enthielt, die Töne, die Rudolph von Gortz im Saale des Wartthurms vor dessen Zerstörung hatte hören wollen. Die Vernichtung dieses Apparats hatte auch das Leben des Barons von Gortz werthlos gemacht, und er hatte sich, eine Beute der Verzweiflung, gewiß absichtlich unter den Trümmern des Schlosses begraben lassen.
Der Baron Rudolph von Gortz wurde auf dem Friedhofe in Werst mit allen den Ehren beerdigt, die der alten, mit ihm ausgestorbenen Familie zustanden. Den jungen Grafen von Telek hatte Rotzko nach dem Schlosse bei Krajowa schaffen lassen, wo sich der treue Diener ausschließlich der Pflege seines Herrn widmete. Orfanik hatte ihm willig die Phonographenplatten abgetreten, die die anderen Gesänge la Stilla’s enthielten, und wenn Franz die Stimme der großen Künstlerin vernahm, dann erwachte er zu einiger Aufmerksamkeit, gewann er vorübergehend die geistige Klarheit wieder, und es schien, als ob seine Seele im Andenken an die unvergeßliche Vergangenheit neu auflebte.
Nach Verlauf einiger Monate war der junge Graf wieder genesen, und dann erst erfuhr man von ihm die Einzelheiten aus der letzten Nacht im Karpathenschlosse.
Die Hochzeit der reizenden Miriota und Nic Deck’s wurde nach den dafür vorgesehenen acht Tagen nach der Katastrophe gefeiert. Nachdem die Brautleute den Segen des Popen im Nachbardorfe Vulkan erhalten, kehrten sie nach Werst zurück, wo ihnen Meister Koltz das hübscheste Zimmer seines Hauses einräumte.
Wenn jene Erscheinungen nun auch eine ganz natürliche Erklärung gefunden hatten, darf man doch nicht voraussetzen, daß die junge Frau an übernatürliche Vorkommnisse in der Burg nicht mehr geglaubt hätte. Nic Deck konnte predigen, so viel er wollte – und Jonas auch, denn ihm lag daran, die alte Kundschaft des »König Matthias« wieder heranzuziehen – sie ließ sich nicht eines besseren belehren, so wenig übrigens wie Meister Koltz, der Schäfer Frik, der Magister Hermod und die andern Bewohner von Werst. Es werden wohl noch viele Jahre vergehen, ehe die wackeren Leute hier sich von ihrem eingewurzelten Aberglauben befreien.
Doctor Patak freilich, der jetzt wieder das große Wort hat, sagt einem Jeden, der es hören will:
»Na, hatte ich nicht Recht?… Geister im Schlosse!… Giebt’s denn überhaupt Geister?«
Kein Mensch achtet aber darauf, und
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