Das kritische Finanzlexikon
Loge heraus das Geschehen kommentieren. Ernst nehmen konnte man keine einzige der Figuren. So also sehen – Greg Smith zufolge – die Investmentbanker von Goldman Sachs ihre Kunden. Interessant. Die Vorfälle bei Goldman Sachs sind beileibe nicht das einzige Beispiel für den in diesen Kreisen grassierenden Zynismus. In regelmäßigen Abständen erhält die Öffentlichkeit Kenntnis über einschlägige Stilblüten aus internen Meetings, Memoranden oder E-Mails. Von bullshit ist da die Rede, mit dessen Hilfe man unwissenden und dämlichen Kunden das Geld aus der Tasche ziehen müsse. The Art of Ripping Off , die Kunst des Abzockens, wird zur Leitmaxime der Branche.
Und wenn es mal nicht so gut läuft, greift der Staat den großen Playern unter die Arme. Auch hierzu gibt es interessante interne Äußerungen von Bankmanagern. Wie Ende Juni 2013 ruchbar wurde, hatte sich David Drumm, Chef der Anglo Irish Bank, 2008, als sein Institut kurz vor dem Zusammenbruch stand, in einem Telefonat mit seinem Kapitalmarktvorstand John Bowe zum Thema staatliche Hilfen wie folgt geäußert: »Wenn sie uns das Geld nicht am Montag geben, haben sie möglicherweise einen Bankenkollaps, wenn uns das Scheißgeld weiter so davonrinnt.« Hinsichtlich der Rückzahlung von öffentlichen Unterstützungsgeldern hatten die Herren auch so ihre Vorstellungen. »Das Geld soll auch nur zur Überbrückung dienen, bis wir es zurückzahlen … nämlich nie.« Eine prophetische Aussage, denn die Anglo Irish Bank wurde 2009 von der irischen Regierung verstaatlicht und 2011 abgewickelt, da sie sich als Fass ohne Boden erwies.
Banker dieses Typs jonglieren mit Riesensummen in Märkten, auf denen sich nur wenige Eingeweihte auskennen. Sie handeln mit Instrumenten, die kaum ein Mensch durchblickt, und bieten diese Instrumente als angebliche Produkte auch noch ihren Kunden an. In dem Bewusstsein, dass ihre Bank, wenn sie eine bestimmte Größe erst einmal erreicht hat, too big to fail sind, können sie sich auch noch auf staatliche Hilfen verlassen. Wer in einem solchen Umfeld agiert, muss entweder verzweifeln – oder er wird zum Zyniker.
Dennoch greift eine lediglich auf die Vertreter der Finanzindustrie gerichtete Kritik zu kurz. Die ganzen Auswüchse wären ohne das Versagen der politischen und administrativen Entscheidungsträger nicht möglich gewesen. Diese Entscheidungsträger haben einerseits die dringend notwendigen Regulierungen des Finanzsektors hintertrieben und andererseits bei der Umverteilung von unten nach oben mit der Geldwirtschaft Hand in Hand gearbeitet. Besonders deutlich wird diese enge Zusammenarbeit durch die Verwerfungen infolge der sogenannten »Euro- und Staatsschuldenkrise«.
Letztendlich müssen wir diese Krise als Resultat einer von neoliberalen Zynikern (→ Neoliberale ) angestoßenen Wirtschafts- und Sozialpolitik begreifen. Einer Politik, hinter der ein eiskaltes Kalkül steckte. Die Sache lief aus deutscher Sicht in drei Stufen ab: Zunächst wurde vielen europäischen Staaten der Euro als gemeinsame Währung beschert. Wechselkursrisiken gab es in Euroland fortan nicht mehr. Dann sorgte, in unmittelbarer Folge des ersten Schrittes, die → Europäische Zentralbank für eine breit angelegte und günstige Refinanzierungsbasis des Bankensystems. Und zu guter Letzt wurde Deutschland, ebenso wie viele andere Länder, »wettbewerbsfähig« gemacht. Die hoch gelobten Reformen der Regierung Schröder waren nichts anderes als ein umfangreiches Konzept zur bewussten Ausgrenzung eines erheblichen Teils der arbeitenden Bevölkerung von der Möglichkeit zur Realisierung angemessener Entlohnung ihrer Arbeitskraft. Und die Regierung Merkel hat danach den einmal beschrittenen Weg konsequent fortgesetzt.
Ausgestattet mit zinsgünstigen Geldmitteln konnten dann Griechen, Italiener, Spanier, Portugiesen etc. kostengünstig produzierte Waren made in Germany kaufen. Die enormen deutschen Leistungsbilanzsalden sprechen da für sich. Deutschland wurde vom europäischen Schlusslicht zum EuroKlassenprimus – mit satten Wachstumsraten, die (s.o.) natürlich ungerecht verteilt wurden.
Und was tun die Vertreter des neoliberalen Lagers? Sie fordern Sparanstrengungen der Krisenländer, die bei einer breiten Mehrheit der Bevölkerung ansetzen: bei Lohnsenkungen und Rentenkürzungen. Das ist ein Zynismus der ganz besonderen Art.
Was aber ist zu tun? Zunächst einmal ist ein Strukturwandel in der Bankenlandschaft dringend notwendig. Vor mehr als 20
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