Das Lächeln der Kriegerin
Werkstatt wirkte aufgeräumter, als Lothiel sie in Erinnerung hatte.
»Kennst du Gilborn schon?«, fragte Cennan, während er seinen neuen Auftrag betrachtete.
»Nein. Wer ist das?«
»Er ist seit einigen Wochen mein Lehrbub, der Sohn meines Brudersohns in der Unterstadt. Und er soll mein Handwerk erlernen.«
Lothiel hörte den Stolz in der Stimme Cennans. Adar hatte ihr einmal erzählt, dass der Kesselflicker als ältester Sohn die Werkstatt seines Vaters übernommen hatte, während seine beiden Brüder sich für die Wache der Grenzfeste anwerben ließen. Einer war in den Grenzkriegen gefallen, der andere lebte mit seiner Familie in der Unterstadt, wie die Leute in der auf einem Ausläufer des Gebirges gelegenen Feste die Teile der Stadt nannten, die außerhalb der äußeren Mauer lagen. Cennan selbst hatte keine Kinder. Seine Frau war während der Schwangerschaft erkrankt und gestorben, bevor sie dem Kind das Leben schenken konnte. Dem Kesselflicker tat es auf seine alten Tage bestimmt gut, einen jungen Burschen im Haus zu haben.
»Er ist ein braver Junge. Und sehr ehrgeizig. Du wirst ihn mögen. Er sollte gleich vom Wasserholen zurück sein. Dann kannst du dir mit ihm die Zeit vertreiben, bis der Kessel fertig ist. Ich brauche ihn vorerst nicht.«
Lothiel wurde ein wenig flau im Magen. Sie würde einen Jungen treffen, der vielleicht in ihrem Alter war. Möglicherweise würde er sogar mit ihr spielen. Und doch spürte sie schon jetzt die Verlegenheit in sich aufsteigen. Wie müsste sie sich verhalten? Vater Adar nahm sie erst seit zwei Jahren mit zur Grenzfeste, wenn er einmal im Frühjahr und einmal im Herbst zum Markt fuhr. Sie half ihm beim Verkauf und manchmal durfte sie kleine Aufträge ausführen, so wie heute. Doch es blieb keine Zeit, andere Kinder kennenzulernen oder gar mit ihnen zu spielen. Lothiel wusste auch nicht, wie sie sie hätte ansprechen sollen.
»Ich glaube, ich muss Vater noch helfen«, sagte sie.
»Na, das kannst du doch. Gilborn wird gleich hier sein. Dann kann er dich zum Markt begleiten und mir auf dem Rückweg ein Brot mitbringen.«
»Ich weiß nicht, ob ich so lange warten kann.«
»Aber da kommt er doch schon.«
Tatsächlich betrat nun, einen gefüllten Eimer in der Hand, ein Junge mit feuerroten Haaren und einem Gesicht voller Sommersprossen die Werkstatt. Lothiel kannte sich mit Kindern nicht gut aus, doch er war bestimmt ein paar Jahre jünger als sie. Gilborn stellte den Eimer ab und betrachtete sie neugierig.
»Das ist Lothiel«, sagte Cennan. »Sie ist die Tochter von Adar, von dem ich dir ja schon erzählt habe. Sie muss zurück zum Markt. Ich gebe dir frei, sie zu begleiten. Bring mir auf dem Rückweg ein Brot von Basthir mit.«
»Was ist denn mit ihr los?«, fragte der Junge. »Sie starrt ja nur auf den Boden.«
»Sie hat wenig Umgang mit fremden Menschen. Sei nett zu ihr, dann wird sie schon auftauen.«
Gilborn musterte Lothiel noch einen Moment, dann trat er entschlossen auf sie zu und griff ihre Hand. »Komm«, sagte er nur und zog sie aus der Werkstatt.
Bis zum inneren Tor gingen sie schweigend nebeneinander her. Gilborn nickte den Wachen freundlich zu und Lothiel tat es ihm nach.
»Wie alt bist du?«, fragte Gilborn, als sie die innere Mauer hinter sich gelassen hatten.
»Fünfzehn.«
Der Junge zog die Augenbrauen hoch. »Dann bist du ja zwei Jahre älter als ich.«
Lothiel fand das nicht sehr überraschend. Immerhin war sie einen guten Kopf größer als der schmächtige Kerl.
»Man sagt, dein Vater war seinerzeit der beste Schütze auf der Grenzfeste. Hat er wirklich Graf Glanost das Leben gerettet?«
Lothiel blieb stehen. Woher konnte dieser Gilborn das wissen? Mutter hatte ihr erzählt, dass es Vaters Pfeil gewesen war, der einen Gegner niedergestreckt hatte, bevor der dem Grafen in den Rücken fallen konnte. Und dieser Pfeil hatte ihnen auch den Hof und das Stück Land eingebracht. Doch Vater selbst sprach nicht gern über die Zeit der Grenzkriege. Einmal hatte er gesagt: »Es gab viel Leid und viele Tote damals. Merke dir eines, Loth: Es ist nicht gut, einen Menschen zu töten.«
»Wieso weißt du davon?«, fragte sie Gilborn.
»Meister Cennan hat es mir erzählt. Er sagte, man sprach darüber seinerzeit in der ganzen Feste.«
»Das wusste ich nicht.«
»Was denkst du, warum die Wachen und die Alten der Stadt deinen Vater noch immer so ehrfürchtig grüßen?«
»Ich hielt es für Höflichkeit. Vater und Mutter haben sie mich
Weitere Kostenlose Bücher