Das Lächeln der Kriegerin
ein Mädchen.«
Lothiel schluckte.
»All die Jahre sind wir gut mit dem Hof zurechtgekommen«, antwortete Naneth. »Du hast ihn vom Grafen bekommen und er verlangt nur wenige Abgaben dafür. Wenn du ihn auch allein bewirtschaften musst, bleibt dir als Freiem doch die Fronarbeit erspart. Wir hatten meist genug für uns und konnten noch etwas auf dem Markt verkaufen. Selbst die schlechten Jahre haben wir überstanden. Was hast du also zu klagen?«
»Ich werde alt und spüre die Arbeit in den Knochen. Schon jetzt bin ich sehr auf Loth’ Hilfe angewiesen. Ein Sohn könnte mich weit mehr entlasten.«
»Schon einmal riet ich dir, einen Knecht zu nehmen.«
»Ich glaube kaum, dass ich ihn mir leisten könnte. Si cher wäre er mir hilfreich. Aber gerade in mageren Jahren will auch er versorgt sein.«
»Das will ein Sohn auch«, antwortete Naneth mit einer Bestimmtheit, die Lothiel gleichermaßen erfreute wie verwunderte. »Mach dir jetzt keine Sorgen darum. Zuallererst solltest du genesen, dann werden wir noch ein paar Jahre zurechtkommen.«
»In ein paar Jahren wird unsere Tochter den Hof verlassen haben. Schon bald könnte ein Mann aus Waldruh oder einem der anderen Dörfer, vielleicht gar aus der Grenzfeste Gefallen an ihr finden. Willst du sie dann auf dem Hof festhalten, ihr die Hochzeit verwehren?«
»Wir werden auch dann für uns zwei sorgen können und sehen, was wird«, antwortete Naneth.
Lothiel hatte genug gehört. Oft schon hatte sie die Frage in Aufregung versetzt, wie es sein würde, wenn sie einmal heiratete. Und vor allem, wer dafür in Frage käme. Nun erst wurde ihr bewusst, dass sie dann ihre Eltern und den Hof verlassen müsste. Es schien ihr, als solle sie alles abstreifen wie eine Haut, aus der sie noch längst nicht herausgewachsen war. Aus der sie gar nicht herauswachsen wollte. Sie konnte sich ein Leben anderswo als auf dem Hof gar nicht vorstellen. Erst recht nicht ohne Vater und Mutter. Und doch schien es, als sei sie ihrem Vater nicht genug, als könne sie seine Sorgen nicht vertreiben, wie sehr sie sich auch bemühte – und sie würde alles für die beiden tun.
Lothiel lief zurück zum Stall und warf sich zwischen den Tieren ins Stroh. Ihre Tränen waren noch nicht versiegt, als sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Lothiel erwachte früh, doch sie konnte Naneth schon im Haus nebenan mit den Kesseln klappern hören. Sie musste ihr am Abend noch eine Decke gebracht haben, denn Lothiel fand sich zugedeckt.
Noch immer spürte sie die Tränen in den Augen. Man sollte sie ihr nicht ansehen und erst recht nicht darauf schließen können, dass sie das Gespräch am Vorabend belauscht hatte. Also beschloss sie, zum Bach zu gehen, um sich gründlich das Gesicht zu waschen.
Das frische, kühle Wasser tat gut. Lothiel benetzte sich auch Arme und Hände. Sie stutzte. Hatte sie sich getäuscht oder war gerade das Schnauben eines Pferdes zu hören gewesen? Sie verharrte einen Moment und watete dann vorsichtig durch den Bach. Sie suchte Deckung hinter dem dicken Stamm einer Buche und spähte an ihm vorbei ins morgendliche Dunkel des Waldes. Wieder erklang das Schnauben, jetzt viel deutlicher. Nun konnte sie auch den Verursacher sehen.
Ein Stück links von ihr, unter den ersten Bäumen stand ein prächtiger Fuchs. Es war ein edles Tier, vermutlich ausdauernd und schnell. Sattel und Zaumzeug waren nicht gerade prunkvoll, doch schienen sie aus weichem, bequemem Leder gefertigt. Aber wo war der Reiter? Und was suchte er hier? Sie schlich näher. Das Ross war nicht angebunden und schien ziemlich nervös, doch lief es nicht davon, sondern tänzelte nur vorsichtig rückwärts, während es Lothiel misstrauisch beäugte.
Dann hörte Lothiel noch etwas anderes: Ein leises Stöhnen kam direkt vom Ufer des Baches. Als sie näher trat, sah sie dort einen jungen Mann liegen. Er war in die leichte Reitertracht der Wache der Grenzfeste gekleidet, schwarz und weiß über einem dünnen, feingliedrigen Kettenhemd. Ein schwarzer Mantel mit dem Abzeichen des weißen Horns lag neben ihm im Ufergras. Sollte er einen Helm besessen haben, so hatte er ihn verloren. Bewaffnet war er mit einem einfachen Kurzschwert, einem Dolch und einem Köcher, der aber keine Pfeile enthielt. Ein Bogen fehlte. Dann sah Lothiel die beiden langen schwarz gefiederten Pfeile. Einer bohrte sich von hinten in die Schulter des Mannes, der andere steckte in seinem Oberschenkel. Lothiel, die schlanke Pfeile zur Jagd benutzte, war besonders
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