Das Leben ist kurz - Vita brevis
Studenten in Rom waren Selbstzahler und als solche nicht sehr spendierfreudig. Schließlich machte Augustinus doch noch einen Karrieresprung: Er wurde nach Mailand berufen, der damaligen Kulturhauptstadt des Römischen Reiches. Dort amtierte er als Erster Redner am kaiserlichen Hof. Er studierte die Schriften des Mailänder Bischofs Ambrosius, der ihm eine Existenz vorführte, in der weltliche und geistige Macht scheinbar problemlos ineinander griffen. Ambrosius war zudem ein Schriftgelehrter, der sich Anhänger verschaffte; er brachte die christliche Glaubensbotschaft mit der griechischen Philosophie zusammen und formte daraus einen Wahrheitsanspruch, der dem noch immer zögerlichen Augustinus ausgesprochen überzeugend erschien. Er, der zuvor bei den Manichäern, einer christlichen, an strenger Zweiteilung zwischen Licht und Dunkel, Gut und Böse geschulten Sekte, mitgewirkt hatte, sah sich nun als Christ, der auf dem Weg zu seinem Gott war.
Seine resolute Mutter Monika, die während all der Jahre nicht lockergelassen hatte, tat ein Übriges: Sie redete dem Sohn seine Floria aus, die nach Afrika zurückgeschickt wurde. Stattdessen sollte er ein junges Mädchen aus besseren Kreisen heiraten, was allerdings Schwierigkeiten bereitete: Zum einen scheint Augustinus seine Floria doch mehr vermisst zu haben, als es Monika recht sein konnte; zum anderen gab sich die für ihn erwählte neue Braut vergleichsweise spröde, sodass es nur zu einer Verlobung langte, die dann sang- und klanglos aufgelöst wurde. Das Leben des Augustinus hatte sich zwischenzeitlich jedoch ohnehin in eine Richtung entwickelt, die seiner Mutter Tränen der Genugtuung in die Augen trieb: Er war, dank eines wundersamen Erweckungserlebnisses, über das er später in seiner Autobiographie (den Bekenntnissen ) einen ebenso wundersamen Bericht ablieferte, endgültig zum Christen geworden, und dieser Berufung ging er, wie andere Spätberufene auch, mit eifernder Strenge nach. Im Jahre 387 ließ er sich (zusammen mit Adeodatus) taufen und wurde von da an nicht müde, sein bisheriges weltliches Leben mit all seinen Sinnen- und sonstigen Freuden schlecht zu reden. Floria – und leider auch sein Sohn, den er bezeichnenderweise ein Kind der Sünde nennt, finden nur noch im Zusammenhang mit der Aufzählung irdischer Irrwege verschämte Erwähnung. Was zählt, ist die Nähe zu Gott, vor der die menschlichen Dinge klein und unwichtig erscheinen.
Anstelle der Lebensfreude hat sich Augustinus später Mühe und Arbeit in sein Leben geholt: 430 wirkte. Die Spuren, die Floria und Adeodatus in seinem Leben hinterlassen haben, verloren sich rechtzeitig genug, um keine bleibenden Irritationen zu hinterlassen; der Sohn ist früh gestorben, und von Floria konnte geschwiegen werden, nachdem ihrem ehemaligen Lebensgefährten die christliche Wahrheit unanfechtbar geworden war. Augustinus hat sein Wissen danach vorbehaltlos in den Dienst des Christentums gestellt. Er hat die Sache des Menschen zurück an Gott verwiesen, von dessen Gnade er abhängig bleibt; nur so lässt sich die leider arg früh, nämlich bereits mit Adams Fehltritt im Paradies heraufbeschworene Ursünde korrigieren. Am eindrucksvollsten ist der Philosoph Augustinus, wo er nicht ausschließlich als strenggläubiger Kirchenvater argumentiert – in seinen Analysen zur Zeitlichkeit etwa, die, so als lebten sie aus sorgsam verschwiegenen Erinnerungen, noch etwas von der Unmittelbarkeit des Daseins aufblitzen lassen, dessen Ansprüche an sich herrisch genug sind, um nicht unbedingt noch eines zusätzlichen Herrn zu bedürfen, zu dem man aufschauen muss.
Otto A. Böhmer
Über den Autor
Jostein Gaarder
Jostein Gaarder , 1952 in Norwegen geboren, studierte Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaften. Er war lange Philosophielehrer und lebt heute als freier Schriftsteller in Oslo. 1993 erschien bei Hanser der Weltbestseller Sofies Welt .
Auszeichnungen
2001 Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis
1997 Österreichischer Jugendbuchpreis der Jury der jungen Leser
1997 Preis der Deutschen Schallplattenkritik
1997 Buxtehuder Bulle
1996 Das goldene Kabel
1995 Preis der Deutschen Schallplattenkritik
1994 Deutscher Jugendliteraturpreis
1993 Luchs (Die Zeit & Radio Bremen)
Bibliographie
Im Carl Hanser Verlag Kinder- und Jugendbuch sind erschienen:
1993 Sofies Welt. Jugendbuch
1995 Das Kartengeheimnis.Kinderbuch
1996 Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
1997 Das Leben ist kurz - Vita Brevis.
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